Die Rutsche gesperrt wegen eines Wespennests?! Erfahrt, warum die Stadt Tübingen eine Spielpause einlegt, um Artenschutz und Kindersicherheit zu gewährleisten.
Ende Juni 2024 wird unsere Spielplatztreff-Community auf das Wespennest aufmerksam. Spielplatztreff-Userin corinna schreibt in ihrem Bewertungskommentar zum Feuerwehrspielplatz in Tübingen: „Achtung! Aktuell (26.6.24) befindet sich oben im Rutschenhäuschen auf einem Pfahl unter dem Dach ein ca. Handball großes Wespennest!!!!“ Ende August 2024 kommt ein weiterer Kommentar von Spielplatztreff-User Tobias Now hinzu: „Leider ist das Wespennest immer noch nicht entfernt“.
Etwas baff, ob es wirklich sein kann, dass Kinder den Sommer über nicht rutschen dürfen, weil der Schutz der Wespen wichtiger ist, als spielende Kinder, rufe ich kurzerhand bei der Stadt Tübingen an und frage nach.
Das Spielgerät samt Rutsche wurde gesperrt
Dort erfahre ich von Benjamin Leins, Fachbereich Tiefbau und Grünplanung der Stadt Tübingen, dass sich auf dem Rutschenturm des Feuerwehrspielplatzes tatsächlich im Frühjahr ein Volk der sächsischen Wespe (Dolichovespula saxonica) gebildet und ein Nest gebaut hat. Um mögliche Risiken zu minimieren, wurde der Rutschenturm abgesperrt. Der Rest des Spielplatzes blieb aber weiterhin zugänglich.
Die Stadt Tübingen geht in solchen Fällen stets umsichtig vor, betont der städtische Mitarbeiter: „Wir schicken bei Vorkommnissen mit Insekten jeglicher Art, seien es Hornissen, Wespen, Bienen, Käfer, etc., unsere Spezialisten raus, die sich dann für jeden Fall eine individuelle Lösung überlegen. In diesem Fall bestand allerdings keine unmittelbare Gefahr für die großen und kleinen Spielplatz-Besucher. Deshalb haben wir bewusst auf eine Umsiedlung oder den Einsatz von Giften verzichtet“, erklärt Benjamin Leins.
Naturschutz vs. Spielvergnügen – eine Abwägung
Die Sicherheit der Kinder hat bei uns immer oberste Priorität. Wäre es eine aggressivere Wespenart gewesen, hätten wir sicher andere Maßnahmen ergriffen. (Benjamin Leins, Stadt Tübingen)
Die Entscheidung, die Rutsche vorübergehend zu sperren, war die Abwägung zwischen dem Schutz der Wespen und dem Spielvergnügen der Kinder. „Die Sicherheit der Kinder hat bei uns immer oberste Priorität“, erklärt Benjamin Leins. „Wäre es eine aggressivere Wespenart gewesen, hätten wir sicher andere Maßnahmen ergriffen.“ Eine Möglichkeit wäre die Umsiedlung des Wespenvolks gewesen. Doch dabei besteht das Risiko, dass das Nest beim Transport beschädigt wird, was das Überleben der Wespen gefährden könnte. Zudem finden die Tiere an einem neuen Standort möglicherweise nicht genug Nahrung oder geeignete Bedingungen.
Reaktionen auf die Sperrung
Und wie haben die Spielplatzbesucher auf die Teilsperrung reagiert? „Die Reaktionen der Eltern waren größtenteils nicht positiv, weil sie den Spielplatz natürlich nutzen wollen“, sagt Benjamin Leins. Er relativiert jedoch: „Wir bekommen vor allem Rückmeldungen von denjenigen, die sich beschweren. Es ist selten, dass jemand anruft und sagt: ‚Wir haben Verständnis für eure Maßnahmen.'“ Über ein ähnliches Phänomen der „Beschwerdekultur“ hatte mir auch Baumexpertin Daniela Antoni berichetet, als wir über Stadtbäume als Schattenspender gesprochen haben.
Eine Chance für wichtige Gespräche
Natürlich kann ich den Ärger über die gesperrte Rutsche nachvollziehen – ich wäre wohl auch zuerst enttäuscht gewesen. Aber bei genauerem Nachdenken finde ich es eigentlich richtig, den Wespen den Raum zu lassen, den sie brauchen, um sicher durch den Sommer zu kommen. Diese Sperrung kann außerdem eine gute Gelegenheit sein, mit den Kindern über den Schutz von Tieren und die Bedeutung der Artenvielfalt zu sprechen. So lernen sie früh, wie wichtig es ist, aktiv zur Erhaltung der Natur beizutragen. In diesem Sinne hätte das Wespennest am Ende eine richtig positive Wirkung.
Sächsische Wespe ist eine friedliche Wespenart
Die Sächsische Wespe ist übrigens bekannt für ihr friedliches Verhalten, zeigt kaum Aggressionen und geht nicht an süße Lebensmittel, erklärt mir der städtische Mitarbeiter. Lediglich im direkten Nestumfeld und bei Erschütterungen greift die Wespe an. Im Spätsommer erledigt sich das Problem schließlich von selbst, wenn das Wespenvolk nach dem Ausfliegen der Geschlechtstiere abstirbt.
Artenvielfalt ist essentiell
Die Stadt Tübingen hat sich auch deshalb für den Schutz des Wespenvolkes entschieden, weil sie Mitglied beim Bündnis „Kommunen für die biologische Vielfalt“ ist, erzählt mir Benjamin Leins. Das verpflichtet die Verantwortlichen sich noch etwas konsequenter für den Schutz der Artenvielfalt einzusetzen. Der Schutz der Artenvielfalt ist allerdings nicht nur in Tübingen essenziell, sondern überall. Jedes Lebewesen spielt letztendlich eine wichtige Rolle in unserem Ökosystem und trägt zum Gleichgewicht der Natur bei. Die Sächsische Wespe auf dem Feuerwehrspielplatz erbeutete beispielsweise in all den Monaten Fliegen und Schnaken als Futter für Ihre Larven und leistete durch die erwachsenen Tiere wichtige Bestäubungsarbeiten. Das gilt natürlich für Insekten im allgemeinen, die Pflanzen bestäuben, Schädlinge kontrollieren, als Nahrung für andere Tiere dienen und somit Teil eines großen Ganzen sind. Deshalb ist der Erhalt unserer Artenvielfalt so wichtig. Die Artenvielfalt sichert nicht nur das Überleben einzelner Arten, sondern auch unsere eigene Lebensgrundlage und die Gesundheit der Umwelt. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Stadt Tübingen versucht, den Schutz der Natur und die Sicherheit der Kinder in Einklang zu bringen.
Die Wespen sind weg – die Spielpause ist vorbei
Nun, da die Wespen weg sind, wurde das Nest entfernt und die Sperrung des Rutschenturms aufgehoben. Der Feuerwehrspielplatz in Tübingen ist wieder vollumfassend zugänglich und die Kinder können nach Herzenslust die Rutsche erobern – diesmal ohne tierische Untermieter!
Auf Spielplatztreff.de findet ihr weitere, schöne Spielplätze in Tübingen mit Bildern und Beschreibungen.
Ich muss gestehen, im ersten Moment habe ich reflexartig gedacht: Echt jetzt?! Muss das sein?! Warum siedelt man nicht einfach das Nest um und fertig ist die Laube. Aber ganz so einfach ist es eben nicht, wie ich jetzt weiß. Und ich habe meine Meinung geändert. Ein paar Monate Spielpause sind ein fairer „Preis“, um das Überleben dieses Wespenvolkes zu sichern, oder was meint ihr? Zum Dank wäre es super, wenn sich die überwinternden Königinnen im nächsten Frühjahr dann doch einen anderen Standort zum Nestbau aussuchen könnten 😉
Titel-Foto: Ausgerechnet den Rutschenturm auf dem Feuerwehrspielplatz in Tübingen haben sich die Wespen für den Nestbau ausgesucht. Foto: Stadt Tübingen
LETZTE KOMMENTARE