Holger Hofmann vom Deutschen Kinderhilfswerk und Initiator des Weltspieltages streitet seit 15 Jahren dafür, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Nur so kann es gelingen, endlich kindgerechtere Lebens- und Spielbedingungen zu schaffen. Wir haben nachgefragt, was sich konkret für Kinder verbessern würde und welche Vorbehalte es noch gibt.

Herr Hofmann, eigentlich wird der Platz zum freien Spielen immer weniger, dennoch findet der 10. Weltspieltag am 28. Mai unter dem Motto: „Spiel! Platz ist überall!“ statt. Sind Sie ein hoffnungsloser Optimist?

Hofmann: Ja natürlich! Wenn man für Kinderrechte streitet, darf man ruhig optimistisch sein. Aber zugegeben, man braucht auch einen langen Atem. Seit mittlerweile 15 Jahren ist das Deutsche Kinderhilfswerk im Aktionsbündnis Kinderrechte gemeinsam mit dem Deutschen Kinderschutzbund, UNICEF und der Deutschen Liga für das Kind unterwegs und setzen uns dafür ein, dass Kinderrechte im Grundgesetz verankert werden. Mit Höhen und Tiefen.

Im Moment eher mit Höhen – verfolgt man die politische Diskussion. Die Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig startete bereits 2015 die Kampagne „Starkmachen für Kinderrechte“. NRW brachte kürzlich eine entsprechende Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein. Echter Fortschritt oder eher Wahlkampfgetöse?

„Starkmachen für Kinderrechte“ – Kampagne des BMFSFJ

Die politische Debatte ist belebt, das stimmt. Wer jedoch die Prozesse in der Gesetzgebung kennt, weiß: vier, fünf Monate reichen nicht aus, um eine Grundgesetzänderung mit dieser Tragweite zu beschließen. Nach der Bundestagswahl im September wird sich dann die neue Regierung mit dem Thema beschäftigen müssen. Hier hoffen wir auf mehr Erfolg als bisher, und dass Kinder nicht wieder hinten runter fallen. Das haben wir schon zu früheren Zeiten zu oft erlebt. Unabhängig davon werden wir nicht aufgeben und immer wieder deutlich machen: Was steht in der UN-Kinderrechtskonvention und wie können wir dieses ins deutsche Recht übersetzen?

Warum gehören Kinderrechte, aus Ihrer Sicht, unbedingt ins Grundgesetz?

Kinder als eigenständige Wesen mit einer Kindheit als eigenständiger Lebensphase brauchen kindgerechte Lebensbedingungen und geeignete Räume, um sich frei entfalten und gesund aufwachsen zu können. Das Wohnumfeld sollte so gestaltet sein, dass ein Kind sich ausreichend bewegen kann, dass es mit Natur in Berührung kommen und seine Freizeit vielfältig gestalten kann.

Wie eingangs schon erwähnt, sieht die Realität leider oft anders aus. Spielplätze werden zurückgebaut und es gibt immer weniger Brachflächen oder naturnahe Flächen, die den Kindern frei als Spielorte zugänglich sind. An dieser Situation müssen wir etwas ändern. Und das geht am besten, wenn wir die Kinderrechte stärken.

Woran liegt es, dass Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinander liegen?

Die Situation ist doch so: Alle sagen, unsere Kinder sind das Wichtigste, unsere Kinder sind die Zukunft. Aber bei den Haushaltsverhandlungen werden Kinderinteressen dann nur unzureichend berücksichtigt, weil Kinder eben keine Wähler sind und weil sie sich nicht so unmittelbar wehren, wie vielleicht andere Bürger.

Kinder sind meistens auf Interessensvertreter angewiesen und haben nur eine eingeschränkte Möglichkeit, ihre persönlichen Rechte zu vertreten. Und deshalb ist es eben notwendig, dass wir die Kinderrechte stärken, damit sie Berücksichtigung finden. Übrigens auch im Hinblick auf die Zukunft. Denn wir haben viel zu wenig im Blick, was wir den zukünftigen Generationen hinterlassen. Nicht nur den heutigen Kindern, sondern denen, die noch geboren werden. Das müssen wir verdeutlichen.

Und die Lösung wäre, die Kinderrechte ins Grundgesetz zu schreiben?

Eine Lösung, genau. Denn wenn wir den Vorrang des Kindeswohls berücksichtigen, wie es im NRW-Gesetzesentwurf geschrieben steht, müsste die öffentliche Hand bei jeder Maßnahme prüfen, ob diese gegen die Kinderrechte verstößt. Damit ist übrigens nicht gemeint, dass wir bei allen Entscheidungen den Kindern den Vorrang geben sollten, wie Gegner fälschlicherweise oft argumentieren. Die Kinderrechte wären aber wichtig, um sich darauf beziehen zu können, wenn Maßnahmen geplant sind, die die kindgerechten Lebensbedingungen berühren oder einschränken.

Nennen Sie mal ein konkretes Beispiel…

Da gibt es die Gudvanger Straße im Prenzlauer Berg in Berlin, die von Anwohnern einmal wöchentlich zur Spielstraße umgewidmet werden soll. Eine Anwohnerin hat dagegen geklagt. Und nun wird schon seit einiger Zeit im Verwaltungsrecht gestritten, ob die Spielstraße rechtens ist oder nicht. Hier würden die Kinderrechte im Grundgesetz helfen, denn dann könnte argumentiert werden: eine Spielstraße gehört zu einem kindgerechten Wohnumfeld, also geht diese in Ordnung.

Aber auch wenn mal eine vierspurige Straße gebaut werden muss, wäre den Kindern mit Kinderrechten im Grundgesetz konkret geholfen. Die Stadt müsste darlegen, wie ein Ausgleich für eventuell verloren gegangene Grünflächen geschaffen werden könnte und es müssten Mittel für Tunnel, Brücken oder einen vernünftigen Fußgänger-Übergang bereitgestellt werden. So wird es übrigens beim Tier- und Umweltschutz bereits gemacht. Aber uns ist durchaus bewusst, dass beim Thema Kinderrechte noch dicke Bretter zu bohren sind.

Kind vor einem Verbotsschild Aufschrift Spielzone
Kinder brauchen gute Spielorte. Foto: S. Hofschlaeger / pixelio

Welche Vorbehalte gibt es denn konkret dagegen?

So einige! Den Juristen ist es beispielsweise wichtig, unsere Verfassung schlank zu halten. Sie fragen: Warum sollten wir die Gruppe der Kinder besonders berücksichtigen, wenn wir das mit anderen Gruppen nicht tun? Wobei das nicht ganz stimmt, Stichwort Tierschutz.

Aber auch bei den Familienverbänden oder den kirchlichen Trägern sprechen sich nicht alle für Kinderrechte im Grundgesetz aus. Aus einer konservativen Sicht heraus möchten sie nicht, dass der Staat in die Rechte der Familien eingreift. Historisch gesehen hat das durchaus seine Berechtigung, aber aus heutiger Sicht, entspricht dieses traditionelle Verständnis längst nicht mehr der Denkweise moderner Familien. Schließlich wollen wir nicht die Elternrechte schwächen, sondern die Kinderrechte stärken. Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

Also ich fände es gut, wenn die Kinderrechte im Grundgesetz verankert wären.

So sehen das auch sehr viele Eltern. Sie begrüßen es, wenn Kinder eigene Rechte haben, weil sie ihre Kinder als eigenständige Menschen sehen. Und auch deshalb, weil sie selbst darauf bauen können, um die Interessen ihrer eigenen Kinder zu wahren. Die Befürchtung der Konservativen, der Staat würde sich hier durch sein Eingreifen zwischen die Eltern und ihre Kinder stellen, ist einfach nicht mehr zeitgemäß. Man muss auch das Grundgesetz als Ganzes betrachten. Solange es so wie es ist Bestand hat, hat der Staat keine Möglichkeiten, seine Macht maßlos auszuweiten.

Es wäre hilfreich, wenn die sozialen Organisationen mit einer Stimme sprechen würden, um den Druck auf die Politik zu erhöhen. Wenn über die Kinderrechte regelmäßig diskutiert wird, würde zwar nicht immer gleich mehr im Haushalt stehen. Aber auf jeden Fall würde sich ein stärkeres Bewusstsein für die Thematik und die Zusammenhänge einstellen, und infolge dessen ein größerer Respekt vor den Lebensumständen für Kinder.

Wird es den Weltspieltag weiter geben, wenn die Kinderrechte im Grundgesetz stehen?

Ja, auf jeden Fall! Das Spiel kommt leider im Alltag viel zu kurz. Wir brauchen solche Gedenktage, um uns dessen bewusst zu werden und Dinge wieder aufzufrischen. Außerdem gibt es unterschiedliche Beweggründe, diesen Weltspieltag zu feiern. Einer davon ist, dass es einfach großen Spaß macht, das Spielen in den Vordergrund zu stellen und gemeinsam zu überlegen, was gespielt werden könnte, egal, ob man dann zu Hause ein Brettspiel aus dem Regal zieht oder draußen mit Nachbarn die Straße besetzt. Das Spiel bietet so viele Facetten, dass man rein aus Lust und Laune den Weltspieltag weiterhin feiern wird.

Vielen Dank, Herr Hofmann, für Ihre spannenden Antworten und gutes Gelingen im Streit um die Kinderrechte!

 

Titel-Foto: Kinder brauchen eine starke Stimme – Kinderrechte gehören ins Grundgesetz! ©pexels.com


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