Freiräume sind Spielräume. Allerdings oft unerkannt und ungenutzt. Vor allem von Erwachsenen werden sie übersehen und so bleibt das Spiel auf dem Weg meistens auf der Strecke. Gesa und Simon wollen das ändern. Beide studieren Spiel- und Lerndesign an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Im Rahmen eines Semesterprojektes haben sie gemeinsam ein Spielwegenetz für die Stadt Halle entwickelt.
Erzählt mal, wie seid ihr auf eure Spielwegenetz-Idee gekommen?
Gesa: Unser Semesterthema lautete: „Raus mit euch!“ Es ging also um das Spiel draußen und natürlich erstmal auch um Spielplätze. Um mehr zu erfahren, haben wir zu Beginn mehrere Spielplätze in Halle untersucht, viel zu dem Thema gelesen und ernüchtert festgestellt: Spielplätze schränken das Spiel ziemlich stark ein. In der Literatur lasen wir dazu passend auch immer wieder von der „Ghettoisierung des Spiels“.
Über die Projekt-Initiatoren: Gesa & Simon
Gesa steht kurz vor dem Ende ihres Bachelorstudiums und arbeitet nebenher für eine kleine Leipziger Spielzeugfirma. Sie beschäftigt sich im Bereich des Spiel- und Lerndesigns vor allem mit den Themen Vermittlung, Nachhaltigkeit und Inklusion. Simon arbeitet seit einigen Jahren im Spielplatzbau und hat deshalb schon einige Erfahrung in diesem Bereich. In Dresden hat er ein Bachelorstudium im Produktdesign absolviert und schließt nun einen Master im Spiel- und Lerndesign in Halle an.
Der „Spielplatz als Ghetto“ – inwiefern?
Simon: Ein Spielplatz ist ja ein klar definierter Ort, der vorgesehen ist für Kinderspiel, meistens noch beschränkt für eine bestimmte Altersgruppe. Es gibt einen eingezäunten Bereich und da steht dann ein Schild am Eingang: „Nur für Kinder bis 12 Jahre“ und man darf dies nicht und das nicht, am besten nicht mit dem Ball spielen und nicht zu laut sein oder nur zu bestimmten Uhrzeiten spielen. Außerdem sind die dort installierten Spielgeräte streng nach vorgegebenen Sicherheitsnormen gefertigt und geben eine ganz bestimmte Nutzung vor: auf einer Schaukel wird geschaukelt, auf einer Rutsche gerutscht, auf einer Wippe gewippt, usw.. Dabei ist Spiel ja viel weiter zu fassen. Außerdem kann Spiel nicht nur in einem vorgegebenen Raum stattfinden, sondern überall passieren.
Vielleicht eben auch auf dem Weg?
Simon: Zum Beispiel, warum nicht? Kinder spielen ja eigentlich permanent und das ist total wichtig für ihre Entwicklung. Uns hat im Laufe der Recherche daher immer mehr die Frage beschäftigt: Warum muss Spiel an einem exklusiven Ort stattfinden? Aus unserer Sicht funktionieren Spielplätze nicht als einzige Orte für Spiel im öffentlichen Raum. Kindern stehen mit dem Spielplatz, dem Kindergarten, der Schule, dem Sportverein, etc. eher isolierte Erfahrungsräume zur Verfügung. Aber was ist mit dem Weg dazwischen? Der ist meistens grau und bietet weder Zeit noch Raum für Spiel. Um das deutlich zu machen, haben wir für unsere Projektarbeit dann auch die Definition „SpielRaum“ gewählt und uns mit Freiräumen außerhalb des Spielplatzes beschäftigt.
… und diese Freiräume mit gelber Farbe aufgepeppt.
Gesa: Unsere zentrale Fragestellung lautete: wie können wir als Gestalter diese vielen ungenutzten Orte und Nischen, die wir bei unserer Bestandsaufnahme im Zentrum von Halle entdeckt haben, attraktiver machen und so gestalten, dass wir das Spiel in den Weg integrieren. Dafür haben wir exemplarisch eine 2 km lange Spielroute erarbeitet. Es gibt einen Startpunkt und ein Ziel. Aber man kann trotzdem an jeder Stelle aussteigen und wieder einsteigen.
Gab es keinen Ärger mit der Stadt wegen der aufgemalten Linien?
Simon: Nein. Wir haben vorsorglich mit wasserlöslicher Farbe gearbeitet und außerdem einen Großteil der Linien auch nur am Computer eingezeichnet. In der Kürze der Zeit hätten wir es nicht geschafft unser Spielwegenetz komplett umzusetzen. Wir hatten ja für das Semesterprojekt mit Ideenfindung, Recherche, Bestandsaufnahme sowie der Konzeptentwicklung nur knapp drei Monate Zeit. Da blieb keine Zeit für bürokratische Prozesse und das Einholen von Genehmigungen.
Gesa: Aber grundsätzlich ist das Schöne an solchen grafischen Interventionen, dass man gar nicht so viele Auflagen beachten muss. Es gibt keinen Fallschutz, der montiert werden muss, es gibt nichts, woran man sich klemmen kann. Es ist günstig in der Umsetzung, man hat nur die Farbe als Material. Es ist keine Installation, die dann dauerhaft etwas versperrt. Stichwort: Mehrfachnutzung einer Fläche. Ein aufgezeichnetes Labyrinth auf dem Markt verhindert beispielsweise nicht, dass samstags der Wochenmarkt stattfinden kann. Hier hat die Stadt eine wunderbare Möglichkeit mit geringem Aufwand im öffentlichen Raum Spielanreize für Kinder aber auch für Erwachsene zu schaffen. Denn vor allem Erwachsenen fällt es sonst schwer Spielmöglichkeiten überhaupt zu sehen.
Schauen Erwachsene anders auf grauen Beton als Kinder?
Gesa: Ja. Für Erwachsene ist ein Weg eine Möglichkeit von A nach B zu kommen. Mehr nicht. Kinder aber haben einen anderen Blick auf die Stadt und auf die Wege als Erwachsene. Kinder sehen diese Lücken und sie machen was draus: Hier Poller zum Slalomlaufen, dort Steine zum Überspringen oder da ein Bordstein zum Balancieren. Die gelben Linien machen diese Spielmöglichkeiten noch sichtbarer und legitimieren das Spiel an diesen Orten. Sind keine gelben Zickzack-Linien auf dem Boden, sagen die Eltern: jetzt trödele nicht, beeil dich bitte, kannst du nicht den direkten Weg nehmen?! So wird durch eine gelbe Zick-Zack-Linie die Möglichkeit des Spielens auch für Erwachsene erkennbar: Aha, hier kann mein Kind spielen. Hier können wir gemeinsam spielen. Mit eingezeichneten Linien fällt es den Erwachsenen leichter, die Perspektive zu wechseln und zu entdecken bzw. nachzuempfinden, was ihre Kinder sehen und was Kinder an bestimmten Orten so einladend finden.
Schaut euch das Video zum SpielRaum Halle Projekt an:
Manchmal laden Orte aber auch an weniger optimalen Stellen zum Spielen ein, wie ihr festgestellt habt.
Simon: Stimmt. Wir haben beispielsweise Begrenzungssteine zwischen Fußgängerweg und Bahnschienen entdeckt, die auf Kinder an dieser Stelle eine hohe Anziehungskraft ausüben. Hier lässt sich nämlich toll hüpfen und die Aufmerksamkeit für den Bahnverkehr geht verloren.
Aus Sicht von Stadtplanern wäre die Frage interessant: Funktioniert so ein Begrenzungsstein überhaupt als Barriere oder lädt der eher zum Spielen ein? Ein Zaun hätte eine andere Wirkung als Steine mit Lücken dazwischen. Ist das erst einmal erkannt, ließe sich hier nachbessern, indem man eine grafische Intervention ein Stück entfernt von den Bahnschienen initiiert. Oder man arbeitet hier gleich mit einer anderen Art der Begrenzung. Insofern kann die Suche nach freien Spielnischen auch die Wahrnehmung schärfen.
Plant ihr euer Spielwegenetz in Halle umzusetzen?
Gesa: Grundsätzlich wäre das spannend und machbar. Übrigens auch in anderen Städten. Wir haben die Untersuchung zwar im Stadtzentrum von Halle gemacht, weil das aktuell unser Lebensraum ist, aber unser Konzept ist universell angelegt und kann auf andere Städte übertragen werden. Aus der Projektarbeit haben sich jetzt schon spannende Kontakte ergeben und wir freuen uns natürlich, wenn da Vernetzungen entstehen und unsere Ideen vielleicht weitergedacht und umgesetzt werden. Wir sind für alles offen und mittlerweile auch im Kontakt mit Mitarbeitern der Stadt Halle. Unsere Ergebnisse präsentieren wir in Form einer mobilen Ausstellung. Diese kann man zum Beispiel im Rathaus oder auf dem Marktplatz aufbauen, damit sich möglichst viele Menschen eingeladen fühlen, an dem Thema mit- und weiterzudenken.
Vielen Dank, Gesa und Simon, für diese Einblicke. Ein tolles Projekt zum Thema „bespielbare Stadt“, das hoffentlich in Halle oder auch in einer anderen Stadt umgesetzt wird. Wir sind gespannt wie es weitergeht und wünschen viel Erfolg! Auf Instagram unter @SpielRaum_Halle könnt ihr das Projekt verfolgen.
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