„Unsere Straße ist zum Spielen da!“ – unter diesem Motto wird am 28. Mai der Weltspieltag gefeiert. Wie es gelingen kann, die Straße wieder als Spielort zurückzuerobern, hat uns Holger Hofmann, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Kinderhilfswerks (DKHW) und Initiator des Weltspieltages verraten.
Herr Hofmann, meinen Sie, wir können die Zeit zurück drehen und unsere Kinder wieder auf der Straße spielen lassen?
Hofmann: Nein, das wohl eher nicht. Aber im Grunde war ja die Straße früher tatsächlich für alle da. Nur hat seit Längerem nun schon das Auto die Oberhand gewonnen. Dennoch gibt es durchaus Bemühungen, dem entgegen zu wirken. Das Einrichten von Spielstraßen oder verkehrsberuhigten Zonen verdrängt zwar nicht den Autoverkehr aus den Innenstädten, schafft aber mehr Spielraum für Kinder und damit mehr Lebensqualität im Wohnumfeld. Auf diesen Zusammenhang wollten wir mit diesem Weltspieltags-Motto besonders hinweisen.
Deshalb sind Gemeinden und Städte dazu aufgerufen am Weltspieltag Straßensperrungen einzurichten und so immerhin für einen Tag mehr Spielraum zu schaffen?
Ja, denn wir haben auch schon bei den letzten Weltspieltagen sehr gute Erfahrungen mit Spielfesten in verkehrsreduzierten Straßen oder Spielstraßen gemacht. Anwohner oder Initiativen stießen mit ihren Aktionen auf viel Verständnis und auch Autos wurden bereitwillig weggeparkt, um Platz zu schaffen und diese Straßen für einen Tag gemeinschaftlich zu nutzen.
Solche Aktionen führen uns vor Augen, welche Einschränkungen wir durch die Autos auf uns nehmen. Dadurch erleben wir einen ganz neuen Erfahrungsraum, der sicherlich nicht nur für Kinder reizvoll ist. Es geht also auch um Erfahrungsqualität.
Aber darüber hinaus würden Autofahrer ungern auf wohnortnahes Parken verzichten, damit mehr Spielraum entsteht, oder?
Viele Erwachsene haben zwei Seelen in ihrer Brust: Einerseits wollen sie wohnortnah parken, andererseits wollen sie für ihre Kinder und auch für sich selbst ein Wohnumfeld, in dem sie sich frei bewegen können, in dem sie Nachbarn treffen und in dem es noch andere Möglichkeiten gibt, außer sein Auto zu parken.
Wir wünschen uns natürlich, dass es das ganze Jahr für Kinder mehr Spielräume gibt und nicht nur an einem Tag. Aber gerade deshalb ist es wichtig, den Weltspieltag zu nutzen, um ein Zeichen zu setzen und solche Erlebnisse möglich zu machen.
Warum gibt es denn kaum Spielstraßen, wenn doch alle profitieren würden?
Das ist, leider wie so oft, auch eine Sache des Geldes. Spielstraßen müssen nach der Verkehrsordnung anders gebaut sein als normale Straßen. Die gesamte Fläche einer Spielstraße muss ebenerdig gebaut sein, ohne Fahrbahnabsenkung, damit für Autofahrer ersichtlich wird: Hier verändert sich die Straße zu einer Fläche, die für alle mit gleichen Rechten verbunden ist.
Das ist vom Grundgedanken her sicherlich richtig und muss bei allen Neubaugebieten auch berücksichtigt werden. Aber den Kommunen fehlt schlicht und einfach das Geld, um bereits bestehende normale Straßen in Spielstraßen umzuwandeln. Wir brauchen dafür kreativere Lösungen, dann würden auch mehr Spielstraßen entstehen.
Wie sähen diese kreativen Spielstraßen-Lösungen aus?
Es gab zum Beispiel schon Modellprojekte, bei denen man dem Asphalt eine deutlich andere Farbe gegeben hat, um den Autofahrern zu signalisieren, dass sie in diesem Bereich ihr Verkehrsverhalten verändern müssen. Das ist aber leider nicht akzeptiert worden. Hier müsste der Bund die Initiative ergreifen, um die Verkehrsordnung zu ändern.
Aus Holland kommt das „Shared Space“ Konzept – diese Verkehrsbereiche funktionieren ganz ohne Verkehrsschilder und Ampeln. Das Prinzip: Alle bestehenden Rechte werden mehr oder weniger aufgehoben, alle Verkehrsteilnehmer achten aufeinander und nehmen Rücksicht. Gemeinde Bohmte, bei Osnabrück, hat übrigens als eine von sehr wenigen deutschen Gemeinden einen solchen Shared Space Bereich eingerichtet.
Das ist natürlich nicht gleichzusetzen mit einer Spielstraße, aber dennoch entsteht ein anderes Miteinander, wenn jeder auf den andere Rücksicht nimmt. Das reduziert die Barrieren für Kinder und verbessert die Lebensqualität.
Oder noch ein anderes Beispiel: Seit einigen Jahren schon bietet die Stadt Bremen in Zusammenarbeit mit der SpiellandschaftStadt e.V. Anwohnern oder Initiativen an, bei Bedarf temporäre Spielstraßen einzurichten. Das Konzept funktioniert hervorragend und trifft auf große Resonanz.
Was kann das Deutsche Kinderhilfswerk konkret tun, um mehr Spielstraßen zu ermöglichen?
Ziel wäre es tatsächlich politisch verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, die im Idealfall Städte und Gemeinden ermuntern, solche Wege zu gehen. Deshalb wäre es durchaus wichtig, an dieser Stelle an den Bund heranzutreten und zu sagen: „Wir brauchen mehr Durchlässigkeit und flexiblere Modelle für Kommunen solche Spielflächen einzurichten.“
Unsere primäre Forderung setzt jedoch noch einen Schritt vorher an: Wir fordern auf Bundesebene in Städten und Gemeinden flächendeckend Tempo 30 einzuführen. Das erachten wir zunächst als den wichtigeren Schritt, weil wir vor allem die Bewegung der Kinder über die Straßen oder der älteren Kinder per Fahrrad im Blick haben, die durch Tempo 50 in der Stadt teilweise hohe Barrieren zu überwinden haben und extrem gefährdet sind. Insgesamt brauchen wir Tempo 30 und mehr Modelle, durch die Spielen in den Wohngebieten ermöglicht wird.
Das wird schwer, denn sogar auf Spielstraßen halten sich die Autofahrer oft nur bedingt ans Tempolimit…
Da haben Sie Recht. Viele haben immer noch nicht richtig begriffen, dass sich auf einer Spielstraße alle Teilnehmer auf gleicher Augenhöhe begegnen. Auch Autofahrer müssen sich an die Bedürfnisse der Kinder anpassen. Schrittgeschwindigkeit sollte genauso selbstverständlich sein, wie geduldig zu warten, bis Kinder ihre Jacken zur Seite geräumt haben, die sie als Torpfosten temporär auf der Spielstraße platziert haben.
Auch weil es hier noch großen Nachholbedarf gibt, steht dieser Aspekt mit dem Motto unseres Weltspieltages im Fokus. Spielstraßen müssen endlich zu Spielstraßen werden!
Sind Spielstraßen nicht eher bessere Tempo 30 Zonen?
Bedauerlich, aber wahr. Weil Spielstraßen tatsächlich vielerorts bessere Tempo 30 Zonen, aber keine wirklichen Spielstraßen sind, gibt es wenig Kinder oder Eltern, die sich trauen, den Spielraum Straße zu nutzen.
Wir wissen jedoch aus unserer Studie „Raum für Kinderspiel“, die wir in Baden-Württemberg mit fünf Kommunen gemacht haben, dass sich das soziale Klima in dem Maße verbessert, wie sich die Qualität des Wohnumfeldes verbessert. Und das wiederum hat einen großen Einfluss darauf, wie Eltern mit ihren Ängsten umgehen, wie sehr sie es ihren Kindern gestatten, nach draußen zu gehen oder eben auch Spielstraßen zu nutzen.
Wie können sich Eltern für mehr Spielstraßen stark machen?
Ich denke, wenn unter den Anwohnern eine Bereitschaft dafür zu sehen ist, eine Spielstraße einzurichten, dann ist die Kommune auch offen dafür, weil sie es toll findet, wenn solche Qualitäten geschaffen werden.
Normalerweise hat die Kommune Angst, dass sie auf Widerstand stößt, auch deshalb wird nichts unternommen. Aber wenn die Bewohner gemeinsam an einem Strang ziehen, Mehrheiten mobilisieren, sich um die Umsetzung mit kümmern, dann sollte der Weg nicht so schwierig sein, häufiger temporäre Spielorte einzurichten.
Gerade der Weltspieltag könnte genutzt werden, um über solche Ideen zu sprechen und zu überlegen, wie sich im eigenen Umfeld mehr Spiel über das ganze Jahr ermöglichen lässt.
In Berlin startet übrigens Ende Mai 2015 das vielversprechende Pilotprojekt „Temporäres Spielen auf der Straße“. Jeden Dienstag wird dann die Gudvanger Straße im Bezirk Pankow von 10 bis 18 Uhr zum gemeinsamen Spielen gesperrt. So können die Anwohner ihre Straße wieder als einen lebendigen Begegnungsort für Jung und Alt erleben. Ein bisschen wie früher.
Vielen Dank, Herr Hofmann, für dieses interessante Gespräch.
Interessanter Beitrag! Ich denke auch, dass mehr Zonen als Langsamverkehr gekennzeichnet werden müssten. Spielstrassen sind etwas schönes und sollten erhalten bleiben. Aber dieses „Shared Space“ Konzept aus Holland klingt ganz Interessant, ein Bereich ohne Verkehrsschilder und Ampeln. Wenn es dort funktioniert, wieso soll es dann nicht bei uns klappen.