Einer der bekanntesten Familienexperten Deutschlands – Jan-Uwe Rogge – über neugierige Spielplatz-Mütter, die Bedeutung von Rückzugsräumen auf Spielplätzen und über die Idee, es sich auf dem Spielplatz einfach mal nur gut gehen zu lassen.

Herr Rogge, Kinder MÜSSEN Spielen. Warum ist das so wichtig?

Rogge: Spielen ist die wichtigste Form der Weltaneignung für Kinder und das Spielen ist die wichtigste Tätigkeit für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes. Je mehr sich Kinder im Spiel ausleben und ausdrücken können, umso besser ist das. Von daher kommt natürlich auch dem Spielplatz eine ganz zentrale Bedeutung zu. Wie alle anderen Orte des Spielens auch.

Dr. Jan-Uwe Rogge einer der bekanntesten Erziehungsexperten und Familienberater Deutschlands. Er gibt Kurse und hält Seminare im In- und Ausland. Der Bestsellerautor schreibt über Familie, Kindheit und Medien und versteht es, seine umfangreichen Beratungserfahrungen informativ und zugleich humorvoll in seinen zahlreichen Büchern und Vorträgen zu verarbeiten.

Was macht einen guten Spielplatz aus?

Ein Spielplatz sollte viel Aneignungstätigkeit der Kinder zulassen. Das heißt, nicht so viel Vorgeprägtes, wie z. B. Spielgeräte, beinhalten. Diese sind bestimmt auch wichtig. Doch zentral für Kinder ist, dass sie ihre Spielumgebung im Spiel gestalten und verändern können. Mit Sand beispielsweise können Kinder (auch gemeinsam) ungeheuer viel machen, Burgen und Straßen bauen und diese wieder vernichten. Das sind zentrale Momente des Spiels. Und auch wichtig: Spielplätze sollten immer Bereiche haben, die nicht einsehbar sind. Also Büsche, hinter denen sich Kinder verstecken können.

Warum finden Sie Rückzugsorte auf Spielplätzen so wichtig?

Kinder möchten auch mal unbeobachtet spielen. Das ist auf einem Spielplatz ja nicht unbedingt immer möglich. Kinderspielplätze sind heute leider häufig wie Affenzoos: Drinnen die Affen – also die Kinder – und draußen die Mütter. Diese beäugen wie Hyänen bissig andere Mütter und verteilen überflüssige Ratschläge an ihre Kinder. Hinter jedem Busch steckt eine Mutter. Das heißt, wo das Kinderauge hinschaut, überall Mütter. Und diese Mütter gucken andauernd auf ihre Kinder.

Was ist falsch daran, seine Kinder auf dem Spielplatz im Blick zu behalten?

Mütter sollten solidarischer untereinander sein und sie sollten ihre Kinder nicht ständig mit ihren Ratschlägen nerven.

Dr. J.-U. Rogge

Die ständige Beobachtung im „Affenzoo“ macht es Kindern deutlich schwerer. Prinzipiell sind Kinder Anarchisten genug, sich immer wieder Freiräume zu erkämpfen, denn diese kindliche Anarchie ist nicht stillgelegt. Kinder brauchen heute jedoch sehr viel Kraft und Energie, um ihre Freiräume gegen ständig glotzende und analysierende Eltern zu verteidigen.

Was ich damit sagen will: Mütter sollten ihre Kinder einfach mal Kinder sein lassen. Sie sollten ihre Kinder nicht ständig miteinander vergleichen, sondern akzeptieren, dass Kinder unterschiedlich sind. Mütter sollten solidarischer untereinander sein und sie sollten ihre Kinder nicht ständig mit ihren Ratschlägen nerven: „Sarah klettere nicht zu hoch!“ „Ben, rutsch jetzt da runter!“ „Max, du sollst deine Schaufel mit Timo teilen!“

Weil Sie mit Ihrer Kritik eher auf Mütter abzielen… finden Sie, Väter sind die besseren Spielplatz-Begleiter?

Das würde ich gar nicht sagen. Es geht in der Erziehung auch nicht um besser oder schlechter. Väter erziehen anders und daraus resultiert, dass sie nicht selten eine etwas größere Distanz haben. Dadurch können Väter häufig gelassener reagieren und haben nicht bei jedem kleinen Konflikt das Bedürfnis eingreifen zu müssen. Ein wenig mehr Gelassenheit wäre tatsächlich hilfreich. In dem Wort ‚Gelassenheit‘ steckt auch das Wort ‚zulassen‘. Ich lasse zu, dass meine Kinder ihre eigenen Erfahrungen machen, auch wenn es nicht immer positive sind.


Bücher von Jan-Uwe-Rogge

Eltern sind häufig unsicher, wie sie den Bedürfnissen ihrer Kinder gerecht werden können. Im Buch „Geschwister – eine ganz besondere Liebe“ erklären die Autoren Jan-Uwe Rogge, Alu Kitzerow und Konstantin Manthey die Bedeutung der Geschwister füreinander und zeigt Wege aus – oft selbstgestellten – Fallen im Alltag.

Erschienen im Gräfe und Unzer Verlag, 2021, ISBN: 978-3-8338-7897-8

In dem Buch „SO GROSSE GEFÜHLEN! – Kinder durch Freude, Zorn und Traurigkeit begleiten“ zeigen die Autoren Jan-Uwe Rogge und Anselm Grünt, dass in den glücklichen wie in den unglücklichen Augenblicken des Alltags Kräfte enthalten sind, die Mut machen und an denen Kleine und Große wachsen können.

Erschienen im Gräfe und Unzer Verlag, 2020, ISBN: 978-3-8338-7309-6

Jan-Uwe Rogge ist überzeugt, dass wir als Eltern die Lösungen für alle Erziehungskonflikte in uns tragen – wir müssen nur unsere Ressourcen aktivieren. In seinen Buch „Meine kleine Erziehungstrickkiste“ finden sich viele authentische Geschichten zu klassischen Konfliktsituationen aus dem Familienalltag, die zum Schmunzeln und Nachdenken anregen.

Erschienen im Gräfe und Unzer Verlag, 2019, ISBN: 978-3833868368

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Vielen Müttern, aber auch Vätern, fällt es schwer, das eigene Kind traurig oder gefrustet zu sehen …

Natürlich, das verstehe ich. Dennoch sollten sich Eltern darüber im Klaren sein: wenn Kinder nicht die Möglichkeit haben, auch mal unbeobachtet zu spielen und im Spiel auch mal zu scheitern, dann werden sie unselbstständig, weil immer Erwachsene da sind, die für sie die Probleme lösen.

Das gilt übrigens auch für das Klettern auf dem Spielplatz. Ein Kind muss lernen, dass es nicht in jeder Situation alles und zugleich kann. Zum Beispiel wenn es vielleicht mit zwei oder drei Jahren noch nicht auf jedes Klettergerüst kommt. Dann muss es lernen die Frustration auszuhalten. Und auch Eltern müssen lernen das auszuhalten. Sie sollten ihr Kind nicht hochheben, sonst riskieren sie, dass es runterfällt. Beim nächsten Spielplatzbesuch also einfach mal ausprobieren, wie es ist, nicht ständig im pädagogischen Einsatz zu sein.

Ist es besser, wenn sich Eltern auf dem Spielplatz komplett aus dem Spiel raushalten?

Nicht unbedingt. Aber wenn ich mein Kind zum Spielplatz gebracht habe und merke, es ist alles in bester Ordnung, ungefährlich und ich kann meinem Kind vertrauen, dass es nicht wegrennt. Dann kann ich die Kinder unter sich spielen lassen. Dann tratsche ich, dann ratsche ich und lasse es mir einfach mal gut gehen.

Und falls das Kind doch reglementiert werden muss, weil es sich unangemessen verhalten hat, dann hole ich es aus dem Spiel raus und bespreche die Situation kurz unter vier Augen. Ganz wichtig: Ein Kind sollte nie vor anderen Kindern zurechtgewiesen werden. Damit beschämt man es und ein beschämtes Kind geht in die Rachefantasie und macht erst recht weiter.

Was tun, wenn sich andere Eltern ungefragt in einen Spielplatz-Konflikt einmischen?

Das passiert leider häufiger. Ich empfehle, sobald sich die Situation beruhigt hat, das Gespräch mit diesen Eltern unter vier Augen zu suchen und zu sagen: „Das finde ich nicht in Ordnung, wie Sie eben reagiert haben.“ Aber um das noch mal klar zu unterscheiden: Wir reden hier von normalen pädagogischen Situationen, also nicht davon, dass Gefahr in Verzug ist. Wenn ein anderes Kind meinem Kind ständig die Schaufel über die Rübe haut, dann muss ich natürlich eingreifen, um mein Kind zu schützen.

Was brauchen Eltern heute, um ihre Kinder auf dem Spielplatz, aber auch im Leben, souverän begleiten und stärken zu können?

Wer Kinder loslässt, lässt sie nicht fallen, sondern gibt ihnen vielmehr Vertrauen mit auf ihren (Lebens-)Weg.

Dr. J.-U. Rogge

Im Lied vom „Hänschen klein“ heißt es, wenn die Mutter Hänschen in die Welt entlässt: „Wünsch dir Glück, sagt ihr Blick!“ Sie gibt dem Kind Vertrauen mit auf den Weg, weil sie dem Kind und sich selber vertraut. Was für Hänschen und seine Mutter im Liedtext beschrieben wird, gilt heute natürlich für die Väter und die Töchter gleichermaßen. Wer Kinder loslässt, lässt sie nicht fallen, sondern gibt ihnen vielmehr Vertrauen mit auf ihren (Lebens-)Weg.

Vielen Dank, Dr. Jan-Uwe-Rogge, für dieses interessante Gespräch.

Titel-Foto: Fröhliche Spielplatz-Kinder auf dem Spielplatz im ZOO Eberswalde ©ZOO Eberswalde/spielplatztreff.de