Ein nicht ganz so ernst gemeinter Text zum Schmunzeln von Kabarettist, Autor und Fotograf Jess Jochimsen über die Spezies der Spielplatz-Eltern.
Normalerweise neige ich nicht zu Misanthropie, aber es gibt einen Menschenschlag, dem ich – vielleicht nicht mit Hass, aber doch sicher – mit ordentlichem Widerwillen gegenüberstehe, von dem ich sogar meine, man sollte sich tunlichst von ihm fernhalten, was leider nicht ganz einfach ist, speziell, wenn man Kinder hat.
Ich spreche von den so genannten „Spielplatz-Eltern“, jenen Erziehungsberechtigten, die ihre Freizeit (und davon haben sie viel) immer und aussschließlich auf Spielplätzen verbringen. Es gäbe viele schöne Orte, die man mit Kindern aufsuchen könnte, aber nein, der Spielplatz muss es sein.
Spielplätze sind vernünftig, ungefährlich und in Laufentfernung. Also wird hingegangen. Immer.
„Komm, wir gehen auf den Spieli“, dummsäuseln die Spielplatz-Eltern ihren Kindern zu, „da kannst du so schön spielen.“ Eine glatte Lüge: Das tumbe Rumsitzen auf langweiligen, TÜV-geprüften Wipp-Geräten im Rindenmulch hat mit Spielen nichts zu tun. Und etwas anderes dürfen die Kinder von Spielplatz-Eltern nicht. Sie könnten sich verletzen – oder noch schlimmer: schmutzig werden. Auch „Spaß haben und andere Kinder kennenlernen“ (häufig vorgebrachte Argumente für den Gang auf den Spielplatz) ist für die Kinder ausgeschlossen. Die Kernsätze der Spielplatz-Eltern lauten:
„Bist du wohl lieb zum Benedikt!“, „Nicht den Sand essen, das ist bäh!“
Und: „Die Emilia-Clara hat das gar nicht gern, wenn man ihr immerzu die Schaufel wegnimmt.“ (Nicht zu vergessen den heiligen Dreiklang: „Komm sofort da runter!“, „Schluss jetzt!“, „Geh weg von dem Kind!“)
Wegen der Kinder wird der „Spieli“ ja auch nicht aufgesucht, Spielplatz-Eltern gehen ausschließlich dorthin, um andere Spielplatz-Eltern zu treffen und sich mit ihnen über die Vorzüge von Stoffwindeln, frühkindlicher Mehrsprachigkeit und Muttermilch zu unterhalten. Habe ich das schon erwähnt? Die Spielplatz-Eltern stillen ihre Kinder bis sie acht sind und dann gibt’s Körner!
Und wehe, es taucht mal ein Stückchen Schokolade auf.
Dieser Bruch der sakrosanten Spielplatz-Ess-Regel wird aufs Schärfste geahndet und mit einer dreistündigen Belehrung in Sachen sinnvoller Ernährung bestraft. Die Kinder können einem leid tun, die Eltern nicht. Fliehen sollte man sie, diese Rudel Spätgebärender, die stolz glucksend und Ratgeber-sediert sich und ihren Nachwuchs präsentieren, dabei sieht ein Blinder, ein paar IQs weniger und man müsste sie gießen! „Wie macht die Kuh? Muh, macht die Kuh!“
Weitere Spielplatz-Monologfetzen gefällig?
„Das Kind ist unglaublich weit für sein Alter… und so neugierig… so lebendig.“ – „Sarah, nicht auf den Boden kacken!“ – „Ich kann mir das Leben ohne Kind gar nicht mehr vorstellen, für mich ist das eine derartige Berreicherung.“ – „Schluß habe ich gesagt! Wenn du jetzt nicht sofort aufhörst, gehen wir auf der Stelle heim!“
Ja, wennn sie ihre Drohung nur mal wahr machten…
Übrigens ist es keineswegs so, dass Spielplatz-Eltern in der Mehrzahl Frauen wären.
Patch-Work, Sabbatjahr, Erziehungsurlaub und Arbeitslosigkeit machen es möglich, dass auch immer mehr Männer zu alles kontrollierenden Leittier-Vätern mit Crocks und zwanghaft guter Laune mutieren. „Komm, Erik-Xavier, Papa will noch mal schaukeln!“
Die Folge ist, dass der Spielplatz zur munteren Partnerbörse wird. „Kommst du öfter hierher?“, fragt der sich selbst inszenierende Super-Daddy zwanglos und die Spielplatz-Mutti strahlt.
So ein toller Mann, denkt sie, und er kann so gut mit Kindern…
Selten war die Kontaktaufnahme einfacher, wobei die Kinder natürlich eingebunden werden: „Lena, magst du dich nicht mit dem Torben anfreunden? Das ist doch ein ganz Netter, der kommt oft mit seinem Papa hierher…“ Und dann öden sich die Kinder im Sandkasten an, während die Eltern Pädagogik-Tipps, zuckerfreie Reiswaffeln und Telefonnummern austauschen. „Wir sehen uns morgen auf dem Spieli!“
Macht ihr nur. Ich habe mir angewöhnt, mit meinem Sohn Tom nachts auf den Spielplatz zu gehen. Für Tom ist das ein großes Abenteuer und für mich: Erholung.
Na, Super-Daddy und Spielplatz-Mutti? Findest du dich im Text wieder? 😉
Dieser Text ist in überarbeiteter Form in Jess Jochimsens Buch „Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst? erschienen. Mehr über den Autor erfährst du auf seiner Webseite.
Bücher von Jess Jochimsen:
Jess Jochimsen:
„Krieg ich schulfrei, wenn du stirbst?“ (dtv)
Vierzig anarchistische, anrührende und komische Geschichten aus dem ganz normalen Wahnsinn der Kindererziehung. (160 S., illustriert.)
Jess Jochimsen:
Was sollen die Leute denken (dtv)
„Jess Jochimsen gelingt mit diesem Text die so schwierige Gratwanderung zwischen Komik und Entsetzen auf grandiose Weise.“ (Bettina Schulte, Badische Zeitung)
Das mit dem Stillen ignoriere ich jetzt mal netterweise. Der Artikel ist ja lustig aber entspricht nicht unbedingt der Wahrheit. Vlt liegt es auch daran, dass unser „Haus“-Spielplatz so multikulti ist. Hier gibt’s nebst Reiswaffeln (ungezuckert, logo!) nämlich auch türkischen Kaffee und Schoko-Muffins. Mein Kind hat hier schon 2x auf den Rasen gekackt und meine Tochter Sand gegessen. Ich greife auch nur dann ein wenn ich gerade beobachtet werde, ansonsten schaue ich ruhig zu wenn mein Sohn mit der Schaufel einem anderen Kind eins rüberzieht. Ich spreche in der Regel niemand anderen an, ich starre lieber auf mein iPhone. Väter, die hier sind, sind mir suspekt und meist sehen sie eh sch… aus. Die Verletzungsgefahr auf diesem Spielplatz ist hoch. Trotzdem stehe ich nicht mit dem Auffangnetz unter dem Klettergerüst. Mein Sohn soll seine Erfahrungen machen, wenn’s sein muss auch schmerzhafte. Ich komme auf keinen Fall jeden Tag hierher. 1x die Woche reicht völlig!