Wir sind es gewohnt, mit unseren kleinen Rackern gemeinsam auf dem Spielplatz zu spielen. Warum wir uns allerdings lieber zurückhalten sollten, um unsere Kinder nicht zu gefährden, erfahre ich von Hans-Peter Barz, erfahrener Spielplatz-Experte und Leiter vom Grünflächenamt in Heilbronn.
Herr Barz, sie sind nicht so gut auf die so genannten „Helikopter-Eltern“ zu sprechen, die ihre Kinder vor jeglichen Gefahren beschützen wollen. Was ist so schlimm daran?
Barz: Grundsätzlich ist es völlig normal, dass Eltern ihre Kinder vor Gefahren beschützen möchten. Aber das Ausmaß, mit dem sich übervorsichtige Eltern heutzutage dieser Aufgabe annehmen, ist nicht nur kontraproduktiv sondern sogar gefährlich – auch auf dem Spielplatz!
Inwiefern ist zu viel Schutz gefährlich?
Kinder suchen nach Grenzerfahrungen. Sie möchten sich ausprobieren, sie möchten selbst hausfinden, wie weit sie gehen können. Gerade unsere Kinderspielplätze sind genau die Orte, an denen Kinder solche Erfahrungen machen und ihre Sinne schärfen können. Auch Risiko-Erfahrungen gehören unbedingt dazu. Aber wenn Kinder diese Erfahrung nicht mehr selbstständig machen dürfen, weil Eltern ständig nebenher laufen und mit den Kindern den Spielplatz „durchspielen“ oder warnen: „Kletter nicht zu hoch, spring nicht zu weit, lauf nicht zu schnell“, dann gibt es ein großes Problem. Denn dann lernen Kinder nicht mit Risiko umzugehen.
Was genau meinen Sie mit „durchspielen“?
Wenn Eltern ihr Kind an die Hand nehmen, es von Gerät zu Gerät führen und ständig vorgeben, was zu tun ist: rutsch‘ die Rutsche runter, klettere da rauf, jetzt machen wir dies, jetzt machen wir das… Dem Kind bleiben dadurch keinerlei Möglichkeiten, sein Spiel selbst zu bestimmen, zu gestalten bzw. selbst zu entdecken.
Wir Eltern sollten uns auf dem Spielplatz also zurückhalten?
Eltern können natürlich auch mal gemeinsam mit ihren Kindern spielen, Sandburgen oder Staudämme bauen oder auch die Schaukel anschubsen. Mir geht es darum, dass Eltern ihren Kindern auf dem Spielplatz bewusst Freiräume lassen sollen, damit ihre Kinder selbst austesten können, was ihnen gelingt, was sie sich zutrauen, wie sich das Ganze anfühlt. Deshalb ist eines der wichtigsten Dinge, die ich Eltern sage, wenn sie ihre Kinder schützen möchten: „Bitte lasst eure Kinder alleine klettern und spielen. Lasst sie ihre Erfahrungen alleine machen!“ Gerade älteren Kindern tut es gut, wenn sie nicht ständig unter Beobachtung stehen. Kinder brauchen Rückzugsorte, wo sie sich unbeobachtet fühlen, wo sie sich trauen, mal etwas alleine auszuprobieren und die Eltern eben nicht ständig zuschauen. Erst dann können sie selbst gestalten, entscheiden und sich und ihrer eigenen Wirksamkeit wahrnehmen.
Aus eigener Erfahrung weiß ich: Manchmal fällt es nicht leicht, seinen Kindern in schwindelerregenden Höhen beim Klettern zuzuschauen…
Das kann ich zwar verstehen. Aber Kinder sind sehr gut in der Lage, ihre Fähigkeiten selbst einzuschätzen. Sie brauchen ihre Eltern nicht, um zu wissen, was sie sich zutrauen. Die einen klettern hoch hinaus bis ganz in die Spitze. Die anderen kehren auf halber Höhe um, weil sie sich nicht weiter trauen. Von vielen Beobachtungen weiß ich: wenn Kinder weiterklettern, dann können sie das auch, wenn es ihnen zu hoch wird, hören sie von selbst auf. Aber ob und wie hoch sie wollen bzw. können, das sollten Kinder selbst entscheiden, nicht die Eltern.
Sie sagen, wenn Eltern helfen, wird es manchmal sogar richtig gefährlich…
Ja, leider! Im Glauben, ihrem Kind etwas Gutes zu tun, setzen viele Eltern es einfach oben auf das Klettergerät und lassen es dort alleine spielen. Dadurch kann das Kind sehr plötzlich in eine Situation geraten, in der es sich überfordert fühlt. Aus Unsicherheit wird Angst und dann fällt es herunter. Als Spielplatz-Verantwortlicher der Stadt Heilbronn habe schon das ein oder andere Mal meine Erfahrungen mit Eltern gemacht, die sich am Telefon bei mir beschwerten: „Mein Kind ist vom Gerüst gefallen und die Stadt ist Schuld.“ Im Laufe des Gespräches stellte sich dann aber heraus, dass das Kind unter drei Jahre alt war und noch gar nicht die motorischen Fähigkeiten besaß, um selbst über die Einstiegshürde hinüberzuklettern.
Was meinen Sie mit Einstiegshürde?
Wenn es sich um einen öffentlichen Spielplatz in Heilbronn oder anderswo handelt, sind in der Regel alle Sicherheitsmaßnahmen erfüllt. Dazu gehört auch der Grundsatz: Risiken sind notwendiger Bestandteil eines jeden Kinderspielplatzes, diese müssen jedoch für Kinder klar erkennbar und kalkulierbar sein. Da ein dreijähriges oder jüngeres Kind noch nicht in der Lage ist, genau abzuschätzen, wie leicht man beispielsweise von einem Klettergerät herunterfallen kann, wird der Einstieg in ein Klettergerät, das für ältere Kinder gedacht ist, mit einer Einstiegshürde versehen. So wird zum Beispiel die unterste Stufe häufig so hoch angebracht, dass Kleinkinder gar keine Chance haben, diese Stufe selbstständig zu erklimmen. Wenn jedoch Eltern ihre Kinder einfach drüber heben, ist der eingebaute Sicherheitsmechanismus natürlich wirkungslos.
Warum sind wir Eltern heute so ängstlich?
Viele Menschen, die heute kleine Kinder haben, sind selbst wohlbehütet großgeworden. Kein Wunder also, dass wir es jetzt mit so vielen übervorsichtigen Eltern zu tun haben. Ich erlebe es ziemlich häufig, dass gerade junge Eltern gar nicht wissen, wie notwendig es ist, den Umgang mit Risiken zu üben. Und das hört ja auf dem Spielplatz nicht auf, wenn ich nur an die langen Eltern-Taxi-Schlangen vor den Schulen denke. Das Sicherheitsbedürfnis wird mit zunehmender Sicherheit immer größer. Wo soll das hinführen?
Was können wir Eltern tun, um diese fatale Entwicklung aufzuhalten?
Wir müssen zurück zu den Wurzeln. Es sollte wieder normal werden, dass Kinder ihren Schulweg alleine meistern und den Spielplatz selbstbestimmt erkunden dürfen. Wir Spielplatzplaner sollten noch mehr darauf achten, dass Spielplätze Risikoerfahrungen und körperlichen Herausforderungen ermöglichen, an denen Kinder wachsen können. Eltern sollten wieder mehr in die Fähigkeiten ihrer Kinder vertrauen, ihnen wieder mehr Freiraum geben, eigene Erfahrungen zu machen und dafür vorhandene Sorgen und Ängste bewusst zurückhalten.
Vielen Dank, Herr Barz, für dieses interessante Interview. Noch mehr schöne Spielplätze in Heilbronn findet ihr auf Spielplatztreff. Wie geht ihr damit um? Kinder eher alleine spielen und klettern lassen oder sicherheitshalber überall mit hingehen und darauf achten, dass nichts passiert?
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Das sind wahrlich wahre Worte. Danke.
Das mit den Helikoptereltern ist so eine Sache, da wird man schnell in die Schublade gesteckt. Leider haben auch die Medien eine gewisse „Schuld“ an der Sensibilisierung der Eltern: Die Berichtserstattung zeigt immer wieder Fälle auf, bei denen Kinder und Jugendliche auf dem Schulweg oder bei ihren „selbständigen Erkundungstouren“ verschwinden oder Gewalt angetan wird. Wenn man als Eltern solche Dinge liest, möchte man sicher sein Kind davor bewahren. Deswegen halte ich es für übertrieben, alle Eltern, die ihr Kind zur Schule bringen (Paradebeispiel), gleich als Helikoptereltern zu verschreien. Das kann mehrere Gründe haben als Übervorsicht.
Und leider sind die heutigen Zeiten alles andere als sicher, Stichworte „Anschläge auf Kindergärten“, „Amoklauf an Schulen“ etc. – ja, es gibt weitaus unsicherere Gegenden, nichtsdestotrotz darf man das Schutzbedürfnis nicht zu niedrig ansetzen.
PS: Ich helfe meinen Kindern am Spielplatz nur auf deren Verlangen.