Reginaldo Pereira Lima lebt seit 1993 in Deutschland. Als gebürtiger Brasilianer kämpft er seit mehr als 20 Jahren für bessere Spielplätze in seinem Heimatland. Denn dort sind lt. Reginaldo die Sicherheitsmängel so gravierend, dass schwere Spielplatzunfälle leider alltäglich sind. Um die Spielplätze in Brasilien zu verbessern, hat er sich auch als Spielgerätebauer selbst auf den Weg nach Brasilien gemacht. Das wollten wir genauer wissen…

Reginaldo, was hat dein besonderes Interesse für Spielplätze geweckt?

Reginaldo: Nachdem ich 1993 nach Deutschland gekommen bin, habe ich zunächst auf einem Abenteuerspielplatz gearbeitet und dort mit den Kindern brasilianisches Spielzeug gebastelt. Schon damals hab ich angefangen, mich für Spielplätze zu interessieren. Auch, weil ich von der Vielfältigkeit der deutschen Spielplätze im Vergleich zu brasilianischen Spielplätzen beeindruckt war.

Du hast dir sehr viel selbst angelesen…

Reginaldo Pereira Lima – kämpft für sichere Spielplätze in Brasilien

Ich habe recherchiert und Bücher gelesen, mich auch sehr für die Geschichte der Spielplätze interessiert und dabei erfahren, dass die Unfallrate auf Spielplätzen in Deutschland in den 70er Jahren auch ziemlich hoch war und sogar über ein Verbot der Schaukel als ein zu gefährliches Spielgerät, nachgedacht wurde. Was ich las, erinnerte mich an die Situation in Brasilien heute, wo Unfälle auf Spielplätzen an der Tagesordnung sind. Und ich hab mich gefragt, wie haben die Deutschen es geschafft, heute so sichere und tolle Spielplätze zu bauen?

Ich wollte dann unbedingt selbst Spielgeräte bauen und fing bei einem Berliner Spielgerätehersteller an. Da habe ich sehr viel über Materialien, Werkzeuge, Herstellungsformen, Sicherheitsnormen, etc. gelernt. Und in meinem Kopf reifte die Idee, eines Tages nach Brasilien zu gehen, um dort selbst sichere Spielgeräte zu bauen.

Haben Spielplätzen Brasilien tatsächlich so einen großen Nachholbedarf?

Ja, die Spielplatzsituation in Brasilien ist ganz furchtbar. Auf fast allen Plätzen stehen rostige Spielgeräte ohne Schutz- und Dämmmaterial mit rauen Oberflächen, aus denen Nägel hervor gucken. Man sieht im ganzen Land keine einzige Gummischaukel auf Spielplätzen. Dabei sind Schaukeln mit Metallsitzen extrem gefährlich. Einmal in Schwung wirken sie wie Wurfgeschosse. Kinder kriegen sie an den Kopf. Ausgeschlagene Zähne oder ein gebrochener Kiefer sind die Folge.

Brasilianische Metallschaukel / Schaukelsitz
Diese Metallschaukel ist schon ziemlich angerostet. Foto: Reginaldo Pereira Lima
Wippe
An dieser Wippe fehlt auf einer Seite der Haltegriff. Foto: Reginaldo Pereira Lima

Weil Kinder so oft von Spielgeräten aus viel zu hohen Höhen auf viel zu harte Böden fallen, passieren ständig Spielplatzunfälle. Früher gab es direkt neben vielen Spielplätzen sogar so genannte „Erste Hilfe Stationen“, die von der Stadt bezahlt und von Krankenschwestern betreut wurden. Das galt als Zeichen guter Organisation: Seht her, wir versorgen die Kinder gleich an Ort und Stelle.

Wenn Spielplatzunfälle an der Tagesordnung sind, kann keine Rede von unbeschwerter Spielfreude sein …

Nein gar nicht. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Eltern mit ihren Kindern auf Spielplätze gehen, nimmt niemand ein Buch mit. Sie müssen ständig bei den Kindern bleiben. Die Rutschen zum Beispiel sind bei uns viel zu steil und unten ohne Krümmung gebaut. Direkt am Ende der Rutsche ist die Fläche betoniert. Das heißt, man landet mit den Füßen oder dem Po auf dem harten Beton.

Rutsche
Unsichere Rutsche ohne Fallschutz. Foto: Reginaldo Pereira Lima
Die Kettenglieder dieser Schaukel sind viel zu groß, Kinder könnten mit ihren Fingern darin steckenbleiben. Foto: Reginaldo Pereira Lima

Die Kinder können nicht alleine spielen. Ihre Eltern müssen immer wachsam sein und ihnen beibringen, wo die Gefahren lauern: „Vorsicht vor schwingenden Metallschaukeln und nie die Finger in die Schaukelkette stecken.“ Das finde ich so schade. Denn eigentlich sollte doch die Schaukelkette so gebaut sein, dass keine Finger reinpassen.

Wer ist in Brasilien rechtlich verantwortlich, wenn Spielplatzunfälle passieren?

Die Stadt als Betreiber des Spielplatzes hat zwar, wie auch in Deutschland, die rechtliche Verantwortung. Aber die wenigsten Leute kämen auf die Idee, bewusst für ihr Recht einzutreten. Wenn ein Unfall passiert, sind immer die Kinder Schuld, nach dem Motto: „Du weißt doch, dass ein Spielplatz gefährlich ist.“

Das Kind wird dann ärztlich versorgt, die Polizei sperrt das Gerät für einige Tage ab. Meistens wird das Gerät dann notdürftig wieder zusammengeflickt, ein paar Schrauben werden nachgezogen oder irgend etwas ausgebessert und dann wird der Spielplatz wieder aufgemacht. Die Schuldfrage wird nicht gestellt und es wird auch nicht überprüft, ob die falsche Bauweise eines Spielgerätes der Grund für den Unfall war.

Das heißt, Unfälle passieren, weil Spielgeräte ohne Sicherheitsstandards gebaut werden?

Genau. Sicherheitsnormen für Spielplätze oder Spielgeräte gibt es in Brasilien nur auf dem Papier. In der Praxis hat in Brasilien niemand das Wissen über diese Normen. Wenn brasilianische Spielgerätehersteller darüber in ihren Broschüren schreiben, hört sich das teilweise sogar sehr professionell an, aber nur, weil die das kopieren, meistens aus dem amerikanischen Markt. In der Realität sind Sicherheitsnormen nicht existent.

Ich habe in Brasilien noch nie einen Spielplatz gesehen, der den Sicherheitsnormen entspricht. Oft sind es Selbstverständlichkeiten, die fehlen. Zum Beispiel dass ein harter Boden mit mindestens 30 cm tiefem Sand bedeckt sein soll. In Brasilien werden vielleicht fünf cm Sand über einen harten Betonboden geworfen und man denkt dann, besser wäre, wenn sie das lassen würden, damit die Kinder wenigstens sehen, dass es unterm Sand extrem hart ist.

Prinzipiell muss man total aufpassen, welches Wissen man preisgibt. Du zeigst ein Foto von einem Spielgerät und die Leute sagen sofort, das kann ich auch bauen. Sie bauen einfach Dinge nach, wie sie meinen, wie es richtig ist. Niemand erklärt den Gerätebauern, wie’s wirklich funktioniert. Und am Ende gibt es einen brandgefährlichen Spielplatz aus Metall und mit lauter Kanten und falschen Gerätehöhen. Das hat mich sehr belastet.

Müssen Spielgerätehersteller keine Garantien für ihre Spielgeräte liefern?

Höchstens wieder nur auf dem Papier … Auf einem Vertrag zwischen Stadt und Hersteller steht dann vielleicht drauf ein Jahr Garantie. Aber eigentlich geben die Hersteller nie mehr als drei bis sechs Monate.

Eine brasilianische Architekten hat mir mal beschrieben wie das in der Regel läuft: Sie schreibt ihre genauen Vorstellungen von einem Spielplatz bzw. Spielgerät in ein Konzept als Grundlage für eine Ausschreibung. Der Gewinner der Ausschreibung sagt, ja machen wir so. Das was dann aber später installiert wird, hat nichts mehr mit dem zu tun, was auf dem Papier vereinbart war. Das Problem hat aber die Architektin. Sie muss alles nachweisen und dafür sorgen, dass noch einmal Änderungen vorgenommen werden. Einmal installiert bleibt das Ganze dort stehen und basta.

Spielplatzbauer tendieren jedenfalls generell dazu zu sagen: Kinder sind eh nicht so schwer, die müssen nicht das Beste haben. Das Material kann billig sein. Anstatt Spielgeräte robuster zu bauen, werden überall auf den Spielplätzen dann einfach Schilder montiert. „Spielen nur bis 10 Jahre erlaubt.“

Übliches Verbotsschild: „Spielen nur bis 10 Jahre erlaubt“

Wie reagieren brasilianische Eltern auf diese gefährlichen Spielplätze?

Im März 2009 sind zwei 5-jährige Mädchen auf einem Spielplatz verunglückt – ein Mädchen starb, das andere wurde schwer verletzt. Ein sechs Meter langer Eukalyptusstamm, der eigentlich die Schaukel halten sollte, ist einfach zerbrochen und auf beide niedergestürzt.

Der Vater einer der Mädchen hatte damals versucht, herauszufinden, welche Verantwortung die zuständigen Behörden am Tod seiner Tochter haben. Aber als dann, wie üblich, die Polizei feststellte, niemand sei Schuld, empörten sich die Leute mehr als sonst und meinten, dass es aufhören müsse, dass niemand Schuld ist, wenn solche Unfälle passieren. Monatelang war der Unfalltod dieser Mädchen ein riesiges Thema in Brasilien. Das öffentliche Interesse war für brasilianische Verhältnisse sehr groß. Ein paar Monate später war jedoch alles wieder wie immer und es konnten keine nachhaltigen Änderungen erzielt werden.

Dennoch stelle ich insgesamt fest, dass die Leute sich in den letzten Jahren zunehmend beschweren. Sie dokumentieren Spielplätze z.B. mit der Kamera und verbreiten die Infos übers Internet. Vielleicht ist das ja ein Anfang?

Liegt es am fehlenden Geld, dass brasilianische Spielplätze in einem so kritischen Zustand sind?

Auch, aber es ist auf jeden Fall nicht nur eine Frage des Geldes. Eine Schaukel nach deutscher DIN Norm kostet in Brasilien unter 50 Euro. Die Metallschaukeln, die in Brasilien von Schlossern angefertigt werden, sind teurer.

Wir geben in Brasilien viel zu viel Geld für schlechte Spielgeräte aus, weil wir nicht wissen, wie gute Spielgeräte gemacht werden und weil die Verantwortlichen auch nicht den gesellschaftlichen Druck haben, sich dieses Wissen anzueignen. Spielplätze sind nicht deren Hauptproblem. Ich habe sogar dem Bürgermeister meiner brasilianischen Heimatstadt eingeladen, nach Berlin zu kommen, um sich vor Ort anzusehen, wie sichere Spielplätze aussehen und gebaut werden. Er hat sich nett bedankt, aber gekommen ist er nicht.

Dabei gibt es gute Gründe, hochwertige und sichere Spielplätze in Brasilien zu installieren. Für andere Nationen erfüllen wir zwar nach wie vor das Klischee fröhlicher Brasilianer. Aber eigentlich sind wir ängstlich geworden. Wir unterhalten uns nicht mehr, gehen nicht mehr raus, aus Angst vor Gewalt auf den Straßen. Die Kinder werden immer dicker, weil sie sich zu wenig bewegen und zu viel Fast Food essen. Die Kinder brauchen Orte, an denen sie sicher spielen können. Brasilien fehlen grüne Inseln, wo die Leute wissen, da können wir hingehen, mit unseren Kindern in einem sicheren Umfeld spielen.

Deshalb bist du nach Brasilien gegangen und hast dort Spielgeräte gebaut …

Ja, den Traum, selbst Spielgeräte zu bauen, hatte ich ja schon länger und 2003 bin ich dann tatsächlich mit meiner Frau und den beiden Kindern in meine Heimatstadt nach Brasilien gezogen.

Meine erste Idee war es allerdings, als Vertreter der Berliner Spielgerätefirma, bei der ich gearbeitet hatte, deutsche Spielgeräte nach Brasilien zu verkaufen. Ich musste jedoch sehr schnell feststellen, dass diese Idee an den extrem hohen Importgebühren scheiterte, die Brasilien veranschlagt, um den einheimischen Markt zu schützen.

Sichere Spielgeräte in Brasilien, gebaut von Reginaldo. Fotos: privat

Danach habe ich dann meine eigene Spielgerätefirma aufgemacht. Mir war klar, dass mein Wissen über Normen und Fertigungsweisen nicht ausgereicht hätte, um Vergleichbares in Deutschland zu tun. Aber in Brasilien wusste ich mehr als jeder andere über dieses Thema und so habe ich mich, ausgerüstet mit entsprechenden Fachbüchern über die DIN-Normen und Fotos von Spielgeräten, hoch motiviert ans Werk gemacht.

Sichere Spielgeräte in Brasilien, gebaut von Reginaldo. Fotos: privat

Wie war das Feedback auf deine Spielgeräte?

Sehr positiv. Die Leute waren begeistert und es hat mich auch sehr stolz gemacht, meine selbst gebauten Spielgeräte auf brasilianischen Spielplätzen zu sehen und zu wissen, daran haben Kinder ihre Freude. Auch wenn mich bereits nach einem Jahr das schlechte Gewissen quälte, weil ich mir nicht sicher war, ob es in Ordnung ist, einfach Geräte nachzubauen. Ich habe dann versucht, meine eigenen Holzmotive, z.B. bei Federwipptieren zu entwerfen.

Trotz der positiven Resonanz war es immer ein Kampf, Spielgeräte zu verkaufen. Es hieß oft, es sei kein Geld da. Obwohl ich gesehen habe, dass für Dinge Geld da war, deren gesellschaftlicher Nutzen wesentlich zweifelhafter war. Mit einem Investor aus Brasilien lief es dann auch finanziell besser und ich war voller Enthusiasmus und Tatendrang.

Trotz erster Erfolge, bist du wieder zurück nach Deutschland. Warum?

Ja, das ist wahr. Und sicherlich wissen meine Frau und ich aus heutiger Sicht, dass wir beide die Schwierigkeiten – vor allem auch in finanzieller Hinsicht – unterschätzt haben, die die Etablierung einer neuen Firma mit sich bringt. Noch dazu ein Leben in Brasilien mit zwei sehr kleinen Kindern – Krankenversicherungen und Kindergärten sind teuer. Zudem ergaben sich gute Jobperspektiven für meine Frau in Deutschland, so dass wir für uns beschlossen, nach drei Jahren wieder zurückzugehen. Vielleicht hätten wir heute bessere Chancen – unsere Kinder sind jetzt sieben und neun Jahre alt – wenn wir es noch einmal versuchen würden?

Trotzdem habe ich die Zeit damals sehr genossen. Zu erfahren, was es bedeutet zu verkaufen, zu produzieren, zu installieren, die Kontakte zu den städtischen Verantwortlichen zu knüpfen… Eine schöne Zeit war das.

Was machst du heute?

Heute arbeite ich halbtags in einer Gärtnerei und kümmere mich um unsere Kinder. Meine Frau ist Biologin und arbeitet Vollzeit. Meine Idee, dass wir in Brasilien von den Deutschen lernen sollten, habe ich jedoch nicht aufgegeben. Aber durch meine Erfahrungen in Brasilien weiß ich auch, dass noch sehr viel zu tun ist. Zu viel, um alles auf einmal zu ändern. Und mir ist klar geworden, dass es viel wichtiger ist, Informationen zu vermitteln, die bei den Verantwortlichen das Bewusstsein für sichere Spielplätze und höhere Qualitätsansprüche schult, bevor man dort mit Spielgeräten anfängt.

S.O.S. Parquinhos – S.O.S. Spielplätze

Deshalb konzentriere ich mich im Moment auf das Thema Spielplatzsicherheit und da insbesondere um das Thema Schaukeln und Rutschen, da passieren nach wie vor die häufigsten Unfälle. Ich habe dazu einen portugiesischen Text mit dem Titel „S.O.S Parquinhos“ (S.O.S. Spielplätze) verfasst. Mal sehen, vielleicht lässt er sich zu einer Informationsbroschüre ausbauen, die ich dann an die Verantwortlichen in Brasilien weitergeben kann? Ich bleibe jedenfalls dran!

Vielen Dank, Reginaldo, für dieses interessante Interview. Wir haben großen Respekt vor deinem Engagement und wünschen dir viel Glück und Erfolg auf deinem weiteren Weg!


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