Günter Beltzig, der bekannteste Spielplatz-Designer Deutschlands, spricht über den hohen Spielwert verrosteter Autos, über Kinder als Spielplatz-Experten, über die Notwendigkeit einer neuen Qualitätsnorm für Spielplätze und darüber, dass wir Eltern unsere eigenen Spielplatz-Erinnerungen nicht so wichtig nehmen sollten.
Herr Beltzig, wie wichtig sind Spielplätze für die kindliche Entwicklung?
Beltzig: Spielen ist lebensnotwendig, wie essen, trinken, schlafen. Kinder, die nicht spielen dürfen, sind in ihrer Entwicklung gefährdet. Doch weil wir nie zulassen können, dass Kinder überall, jederzeit, mit allem spielen dürfen, brauchen wir Spielplätze – als Freiraum zum Spielen.
Gerade in unserer heutigen Zeit kommt das freie, selbstbestimmte und spielerische Lernen, wie es unter anderem auf dem Spielplatz stattfindet einfach zu kurz. Die Kinder lernen heute bestimmt mehr als 40 Stunden in der Woche fremdbestimmt. Sie sind täglich viele Stunden in der Schule. Hinzu kommen die Hausaufgaben, der Nachhilfeunterricht, dann gehen die Kinder zum Fußballverein, zur Musikschule oder zum Ballett. Mit den Folgen, dass Kinder zu wenig in Freiheit Eigenverantwortung ausleben können.
Schwer vorstellbar, dass sich auf den 0815 Standardspielplätzen mit Wippe, Rutsche, Schaukel selbstbestimmt die Welt erobern lässt…
Beltzig: Da haben Sie Recht. Genau das ist auch das Problem. Eigentlich brauchen wir Spielplätze ganz dringend, aber leider sind die meisten Spielplätze so unzulänglich, dass sie eher eine Alibifunktion ausfüllen – seht her, wir tun etwas für Kinder – als die Entwicklung unserer Kinder zu unterstützen.
Ich habe die Beobachtung gemacht, dass teilweise private Gundstücke besser mit Spielgeräten ausgestattet sind, als der direkt daneben liegende örtliche Spielplatz. Auf dem privaten Spielplatz spielen selten mal ein oder zwei Kinder, auf dem öffentlichen Spielplatz sehe ich eigentlich nie ein Kind spielen, da sitzt höchstens mal eine Mutter mit ihrem Kleinkind. Da läuft doch was schief.
Woran liegt das?
Beltzig: Meine Erfahrung zeigt, bisher werden bei der Spielplatzgestaltung überwiegend eigene Maßstäbe angelegt, anstatt fachliche Grundlagen heranzuziehen. Wenn ich mit den Verantwortlichen in den Grünflächenämtern spreche, treffe ich immer wieder auf die unterschiedlichsten Ansichten der Leute, was sie glauben, was notwendig ist. Und oft liegen die Vorstellungen der verantwortlichen Planer sehr weit von den Bedürfnissen der Kinder entfernt.
Ein Landschaftsarchitekt sagte mir mal wörtlich: „Ich habe so einen schönen Spielplatz gemacht. Dann sind die Kinder gekommen und haben alles kaputt gemacht.“
Der Landschaftsarchitekt war verärgert über die Kinder. Dabei ist die einzige Antwort darauf: Ja, dann war es kein Spielplatz. Dann war es eine dekorierte Landschaft! Und das ist ein Problem. Wir dekorieren für Kinder. Wir sollten damit aufhören und anfangen, Spielplätze ausgehend von den Bedürfnissen der Kinder zu planen.
Wäre das auch der Schlüssel zu weniger Vandalismus auf Spielplätzen?
Beltzig: Davon bin ich überzeugt. Wenn wir bei den Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe ansetzen und uns ganz genau überlegen, was gebraucht wird, ist das schon mal die halbe Miete.
Auch Kinder und Jugendliche in den Planungsprozess mit einzubinden, ist eine gute Möglichkeit, dem Vandalismus vorzubeugen. Kinder behandeln einen Spielplatz viel pfleglicher, wenn sie in der Entstehung daran „mitgewirkt“ haben und den Spielplatz auch als „ihren“ Spielplatz ansehen.
Sind Kinder und Jugendliche die besseren Spielplatz-Experten?
Beltzig: Prinzipiell ist die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen eine gute Sache. Nur leider wird dieser Prozess oft falsch verstanden. Dann malen Kinder Bilder von ihren Wunschspielplätzen und dann wird das versucht umzusetzen. Das führt nicht zu besseren Spielplätzen.
Klar ist doch, ein achtjähriges Kind weiß nicht mehr, was es als fünfjähriges wollte und kann nicht wissen, was es als zehnjähriges braucht. Ein Kind weiß nicht, welche Spielmöglichkeiten es gibt und welche Möglichkeiten sich aus der Umgebung und dem Budget ergeben. Kinder können nicht abstrakt erkennen, was für sie richtig, gesund und wichtig ist. Deshalb ist es falsch, ihnen diese Verantwortung zu übertragen.
Entscheidend ist deshalb nicht, was Kinder planen, sondern, dass wir Planer unsere Ideen und Entwürfe den Kindern erklären und begründen müssen und uns dadurch zwangsläufig viel intensiver mit unserer eigenen Arbeit auseinander setzen.
Also hin zu mehr Beteiligung, weg von Reglementierungen?
Beltzig: Das würde ich so unterschreiben und gleich die unsägliche Altersbegrenzung auf Spielplätzen aufheben. Spielplätze sollten für alle Altersgruppen offen sein. Wenn ich die großen Kinder auf einem Spielplatz nicht haben will, dann sollte ich für diese Kinder einen Treffpunkt machen, der ihren Wünschen, Interessen und Verhaltensweisen entspricht. Jugendliche gehen nicht auf den Spielplatz, wenn sie sich woanders treffen können. Wenn sie regelmäßig auf einem Spielplatz sind, ist das ein klares Mangelzeichen.
Auch zusätzliche Verbotsschilder haben auf einem Spielplatz, meiner Ansicht nach, nichts zu suchen. Schauen Sie sich mal an, was für Verbotsschilder auf Spielplätzen stehen.
Ich habe mal für einen Freund, der einen Vortrag zu diesem Thema hielt, ein Spielplatzschild gemacht: „Spielplatz. Spielen erwünscht. Für alle.“ Er hatte für diesen Vortrag Spielplatzschilder gesammelt, die voller Verbote waren: „Du darfst dies nicht, du darfst das nicht, kein Krach, und nur von dann bis dann…“ Ja wofür haben Kinder dann überhaupt einen Spielplatz? Was sollen sie denn noch spielen dürfen? Alle sollen sich auf dem Spielplatz so verhalten, wie sie sich in jeder Grünanlage in jedem öffentlichen Bereich auch verhalten sollten. Punkt.
Wie lässt sich die Qualität deutscher Spielplätze nachhaltig verbessern?
Beltzig: Ich denke, um von dieser Willkürlichkeit wegzukommen, müssen wir verbindliche Regeln formulieren, was wir inhaltlich von einem guten Spielplatz erwarten. Wir haben uns in unserem Spielplatz-Denken bisher zu stark auf das Thema Sicherheit fokussiert, und können im Moment deshalb nur auf eine Spielplatz-Geräte-Sicherheitsnorm zurückgreifen.
Die Sicherheit auf Spielplätzen ist zwar ein wichtiges Thema, und ich halte mich in jeder Hinsicht an die vorgegebenen Normen. Aber zusätzlich zu diesen Sicherheitsnormen brauchen wir eine Qualitätsnorm, die verbindlich regelt, wie ein guter Spielplatz konzipiert sein muss.
Welche Aspekte sollten durch diese Qualitätsnorm verbindlich geregelt werden?
Beltzig: Zunächst einmal sollte klar geregelt sein, wann, wie und wo eine Stadt, eine Gemeinde welche Art von Spielplatz braucht. Heute gilt vage die Regel pro 1000 Einwohner braucht es einen Spielplatz. Ich habe hier eine kleine Gemeinde mit 17.000 Einwohnern, die bräuchten nach dieser Formel 17 Spielplätze, haben aber 34 Spielplätze. Dafür gibt es doppelt so große Städte, die nicht einmal auf einen Spielplatz pro 3000 Einwohner kommen. Um diesem unterschiedlichen Versorgungsniveau ein Ende zu setzen, sollten wir solche Zahlen verbindlich vorschreiben.
Viele mittelmäßige Spielplätze in Fußnähe helfen allerdings auch nicht wirklich weiter…
Beltzig: Deshalb müsste außerdem in dieser Qualitätsnorm verbindlich definiert werden, welche Spielplätze für welche Zielgruppe gebraucht werden und wie diese gestaltet sein müssen, um die kindliche Entwicklung optimal zu unterstützen. Mütter mit Kleinkindern haben ganz andere Bedürfnisse und Verhaltensmuster als Schulkinder oder Jugendliche. Wichtig wäre mir auch fachliches Grundwissen zur Bedeutung des Spiels und der Bewegung über diese Norm zu vermitteln. Hier gibt es dringend Fortbildungsbedarf.
Zunehmend wird versucht, die Qualität eines Spielplatzes an der Höhe des „kreativen Spielwertes“ zu bemessen…
Beltzig: Ja, aber das halte ich für wenig aussagekräftig. Einen Wert kann ich in Kilogramm, in Geschwindigkeit oder sonst was messen. Aber sagen Sie mir mal, was ein Spielwert ist? Es gibt keinen Spielwert. Das ist Quatsch. Der Spielwert eines verrosteten Autos ist hundertmal höher als der eines durchschnittlichen Deutschen Spielplatzes. Das Auto ist natürlich gefährlich und es ist eine Schande, wenn es dort verrostet rumsteht. Aber wie toll kann ich damit spielen?!
Kreativität. Wer will denn das messen? Außerdem brauchen wir die Kinder nicht zur Kreativität zu animieren. Die Kinder sind zigmal kreativer als wir Erwachsene. Wir müssen den Kindern die Möglichkeit geben, dass sie sich kreativ verhalten.
Vielerorts engagieren sich Eltern für Spielplätze. Was geben Sie denen mit auf den Weg?
Beltzig: Kinder sind für unsere Zukunft extrem wichtig. Und deshalb finde ich es auch gut, dass sich Eltern für die Spielplätze ihrer Kinder einsetzen. Eltern sollten dabei aber nicht an ihre eigene Kindheit denken und sagen, wir haben früher so und so gespielt, hier gerutscht, sind dort auf Bäume geklettert… Das verschiebt sich durch unsere Erinnerung. Eltern sollten eher beobachten, womit sich Kinder heute beschäftigen, wo sie sich gerne aufhalten und wie sie spielen. Nur dann können sie bei den Bedürfnissen ihrer Kinder ansetzen.
Und grundsätzlich bin ich davon überzeugt: Wir dürfen das, was wir für Kinder tun nicht mehr als Kinderkram ansehen. Wie wir uns um unsere Kinder kümmern, wie wir ihnen Zeit, Raum und Möglichkeiten geben, sich zu entwickeln und zu entfalten, wird ihre Lebenseinstellung und Lebenswerte prägen. Deshalb sind wir alle, Politiker, Spielplatzverantwortliche, Gerätehersteller, Spielplatzdesigner, Landschaftsarchitekten und Eltern dazu verpflichtet, uns für qualitativ hochwertige Spielplätze stark zu machen.
Vielen Dank, Herr Beltzig, für dieses interessante Gespräch.
Das könnte dich auch interessieren:
Interview mit Günter Beltzig: „DER SPIELPLATZ IST EIN LUXUSARTIKEL“
Leider ist mir nicht klar geworden welche Kinder auf dem Spielplatz spielen dürfen! Die deren Familien die Miete zahlen oder auch die Kinder die in der Nähe wohnen? LG Sus
Ich glaube, liebe Susi, das ist teilweise auch gar nicht so leicht zu beantworten, wenn es sich nicht um öffentliche Spielplätze – von Stadt / Gemeinde / Kommune betrieben – handelt. Dann hängt es leider nicht allzu selten vom guten Willen ab, ob auch Kinder auf dem Spielplatz spielen dürfen, die nicht in der dazugehörigen Wohnsiedlung wohnen. Traurig, aber entspricht der Rechtslage.