Die deutschlandweite MoMo-Studie stellte bereits Anfang 2009 fest, dass Kinder und Jugendliche erschreckende motorische Defizite aufweisen. Wie wichtig sind vor diesem Hintergrund gerade Spielplätze und wie müssen diese gestaltet sein, um Kraft und Beweglichkeit zu fördern? Dr. Elke Opper, Projektleiterin der MoMo-Studie, kennt die Antwort. 

Frau Dr. Opper, woran machen Sie die motorischen Defizite fest?

Dr. Elke Opper, Universität Karlsruhe

Dr. Opper: Unsere Studienergebnisse lassen sich in genauen Zahlen ausdrücken: 35 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind nicht in der Lage, zwei oder mehr Schritte auf einem 3 cm breiten Balken rückwärts zu balancieren. Bei der Rumpfbeuge, einem Test zur Messung der Beweglichkeit, reichen 43 Prozent mit ihren Händen nicht runter bis zu den Fußsohlen. Und beim Standweitsprung, mit dem man die Kraftfähigkeit misst, haben sich die Ergebnisse im Vergleich zu Messungen von vor 30 Jahren um 14 Prozent verschlechtert.


Die Motorik-Modul-Studie wurde zwischen 2002 und 2008 vom Institut für Sport und Sportwissenschaft der Universität Karlsruhe durchgeführt und liefert erstmals umfangreiche bundesweit repräsentative Vergleichswerte zur motorischen Leistungsfähigkeit und der körperlich-sportlichen Aktivität von Kindern und Jugendlichen. Im Rahmen der Studie wurden mehr als 4500 Kinder und Jugendliche zwischen 4 und 17 Jahren in fast 170 Orten in ganz Deutschland getestet und befragt. Die Studie wird als Langzeitstudie weitergeführt, so dass im Laufe der Zeit noch genauere Aussagen getroffen werden können. Die Leitung der Langzeitstudie hat Prof. Alexander Woll von der Universität Konstanz.


 

Was sind die Ursachen für den Rückgang der motorischen Leistungsfähigkeit?

Für den Rückgang der motorischen Leistungsfähigkeit wird hauptsächlich die veränderte Lebens- und Bewegungswelt verantwortlich gemacht. Die Alltagsaktivität von Kindern und Jugendlichen ist deutlich zurückgegangen und die Verhäuslichung hat im Gegenzug stark zugenommen. Das heißt, Kinder und Jugendliche bewegen sich in der Regel deutlich weniger als früher und verbringen weniger Zeit im Freien. Sie werden oft mit dem Auto zur Schule gebracht oder nachmittags zur AG. Sie sitzen nicht nur vormittags in der Schule, sondern auch oft nachmittags zu Hause am Computer oder vor dem Fernseher. Eine Stunde Schulsport und einmal Training pro Woche im Sportverein können diese Bewegungsarmut nicht mehr ausgleichen.

Warum ist eine ausreichende körperliche Aktivität von Kindern so wichtig?

Körperliche Aktivität, motorische Leistungsfähigkeit und Gesundheit stehen in einem engen Zusammenhang. Kinder, die körperlich aktiv sind, haben meistens auch mehr Kraft, Ausdauer und eine bessere Koordination als inaktive Gleichaltrige. Körperliche und sportliche Aktivität schützt vor Übergewicht, Haltungsschäden und fördert ein gutes soziales Miteinander.

Das heißt also, bei jeder Gelegenheit raus auf den Spielplatz?!

Auf jeden Fall! Je nach Ausstattung bieten Spielplätze Kindern die Möglichkeit, vielfältige Bewegungserfahrung zu sammeln. Die Kinder bewegen sich im Freien und erleben auf dem Spielplatz auch einen Austausch mit anderen Kindern – sie können sich selbständig und aktiv entfalten.

Kinder haben einen natürlichen Bewegungsdrang – wenn Eltern diesen unterstützen und ihrem Kind ermöglichen, vielseitige Bewegungserfahrungen zu machen, haben sie eine Basis für eine gute motorische Entwicklung ihrer Kinder geschaffen. Entscheidend ist, dem Kind täglich ausreichend Bewegung zu ermöglichen, sei es beim Spielen auf dem Spielplatz, beim Toben im Freien oder im Sportverein und bei freien Sportangeboten.

Wie sollten Spielgeräte beschaffen sein, damit sie die motorische Entwicklung von Kindern bzw. Jugendlichen fördern?

Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen: Ein Kletterturm mit Aussichtsplattform, den die Kinder über Treppenstufen erreichen, von oben runtergucken und dann die Stufen wieder abwärts steigen, ist sicherlich nicht sehr förderlich – da fehlt die motorische Herausforderung. Ein Klettergerät aber, das über möglichst verschiedene Klettervarianten erklommen werden kann – Kletternetz, Stange, Balancier- und Hangelelemente etc. – bietet schon deutlich mehr Möglichkeiten, vielfältige Bewegungserfahrungen zu sammeln. Abgesehen vom höheren Aufforderungscharakter und Spielspaß.

Wichtig ist also, dass die Spielgeräte einen hohen Aufforderungscharakter haben und die Kinder zum Klettern, Balancieren und Schaukeln anregen. Geräte zur Schulung des Gleichgewichtsinns und der Koordination motivieren zum Ausprobieren, machen Spaß und die Kinder merken gar nicht, dass sie im Spiel ihre motorischen Fähigkeiten schulen.

Wie schätzen Sie diesbezüglich die prinzipielle Ausstattung deutscher Spielplätze ein?

Aus meiner wissenschaftlichen Arbeit heraus, kann ich nicht beurteilen, wie gut oder schlecht die Spielplatzlandschaft in Deutschland hinsichtlich der motorischen Fördermöglichkeiten aufgestellt ist. Das haben wir innerhalb der MoMo-Studie nicht abgefragt bzw. überprüft.

Aber mein ganz persönlicher Eindruck als Mutter und damit auch als Spielplatzbesucherin ist, dass die Ausstattung vieler Spielplätze diesbezüglich nach wie vor zu wünschen übrig lässt. Nur mit Rutsche, Wippe und Sandkasten ausgestattet, wirken viele Spielplätze nicht gerade auffordernd und einladend. Geeigneter sind, aus meiner Sicht, zum Beispiel thematisch angelegte Spielplätze, auf denen sich die Kinder schon allein durch die fantasievolle Umgebung zum Spielen angeregt fühlen. Und wenn dann dort noch motorisch herausfordernde, bewegungsintensive Spielgeräte aufgestellt sind, ist die optimale Basis geschaffen, um motorische Fähigkeiten beim Spielen zu schulen.

Im Interesse unserer Kinder wäre es wünschenswert, wenn in Zukunft noch mehr Spielplatzbetreiber diesen Zusammenhang bei der Planung von Spielplätzen mitdenken würden.

Wir danken Ihnen, Frau Dr. Opper für dieses interessante Gespräch!