Streit im Buddelsand, das Blockieren der Rutsche oder andere kleine Kämpfe – Spielplätze sind soziale Orte, an denen Streitereien dazugehören wie die Förmchen in den Sand. Doch wie umgehen mit den großen Konflikten unser Kleinsten? Alleine regeln lassen oder eingreifen? Und was tun, wenn der Konflikt auf die Eltern übergeht? Die Familienbegleiterin, Erziehungsberaterin und Buchautorin Inke Hummel gibt wertvolle Tipps zum Umgang mit solch herausfordernden Spielplatz-Situationen.
Pädagogin, Familienbegleiterin und Erziehungsberaterin, aber auch Bloggerin, Ratgeber- und Kinderbuchautorin – Inke Hummel ist nicht nur sehr vielseitig, sondern auch eine wahre Expertin auf dem Gebiet der bindungs- und beziehungsorientierten Begleitung von Kindern. Selbst Mutter von drei Kindern und Inhaberin der Familienbegleitung sAchtsam Hummel hat sie tagtäglich mit größeren und kleineren Herausforderungen im Familienalltag zu tun.
In ihren Beratungen geht sie dabei nicht nur auf die Bedürfnisse der Kinder ein, sondern im gleichen Maße auch auf die der Eltern. Dabei verfolgt sie stets die Philosophie, Familien darin zu unterstützen, ein gelasseneres und beziehungsorientierteres Leben mit ihren Kindern zu führen. Auf einfühlsame Art und Weise gibt sie so den Eltern alltagsnahe Impulse und eröffnet sanft neue Blickwinkel, die die Eltern-Kind-Bindung intensivieren. Doch was passiert, wenn der Konflikt nicht nur das eigene Kind betrifft, sondern auch fremde Kinder, wie zum Beispiel auf dem Spielplatz?
In unserem Interview gibt sie wertvolle Tipps, wie man gelassen und bindungsorientiert mit verschiedenen Spielplatzkonflikten umgehen kann.
Hallo Inke, schön, dass wir Zeit gefunden haben, uns über das wichtige Thema Spielplatzkonflikte auszutauschen…
Inke Hummel: Ich freue mich auch sehr mit dir darüber zu reden, wie man kleinere und größere Konfliktsituationen, insbesondere auf dem Spielplatz, friedlich und in Beziehung zum Kind und zu sich selbst lösen kann. Dieses Thema liegt mir sehr am Herzen und ich wünsche mir, dass so viele Familien wie möglich von starken Bindungen profitieren.
Du hast ja selbst drei Kinder, inzwischen 12, 15 und 17 Jahre alt. Wie erinnerst du dich an eure eigene Spielplatz-Zeit damals?
Wenn ich alleine mit meinen drei Söhnen unterwegs war, war ich ganz gerne auf dem Spielplatz. Aber ich hab mir schon bewusst ausgesucht, auf welchen wir gehen. Um eine bessere Übersicht zu behalten, war es mir wichtig, dass der Spielplatz, auf den wir gehen, nicht zu überlaufen ist. Zum anderen habe ich geschaut, was in der Nähe ist, wie das Setting ist und ob ich dort sehr aufpassen muss. Oder es vielleicht viel Streitpotential gibt. Meine Erfahrung ist, desto übersichtlicher der Spielplatz, desto besser können die Kinder die Sachen eigenständig regeln und managen.
Welche Bedeutung hat, aus deiner Sicht, der Spielplatz für Kinder und Familien?
Wenn es ein gut gemachter Spielpatz ist, ist das total positiv – Rausgehen ist immer positiv. Denn man hat dort diesen „Dichtestress“ nicht und zum Beispiel in Zeiten des vermehrten Geschwisterstreits, ist es draußen immer einfacher. Es entzerrt einfach vieles. Und der Spielplatz ist der perfekte Ort, an dem die Kinder selbständig spielen und sich gleichzeitig austauschen können. Hat man mal weniger Lust auf Kontakte und Begegnungen eignen sich aber auch immer gut der Wald oder der Bach. So hat es sich bei uns bewährt.
Gibt es eine Grundhaltung, die du Eltern empfiehlst, wenn sie mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen?
Aber man darf sich ruhig von dem Gedanken freimachen, was die anderen von einem denken, wenn man nach seinen Bedürfnissen handelt.
Inke Hummel
Ich finde es wichtig, dass man vom Gefühl her bei sich und dem Kind ist und bleibt. Die Fragen, was braucht mein Kind und was brauche ich, damit ich das gut umsetzen kann, sollten hierbei im Fokus stehen. Und die anderen Eltern dürfen dabei nebensächlich sein, was nicht bedeutet, ihre Grenzen nicht zu achten. Aber man darf sich ruhig von dem Gedanken freimachen, was die anderen von einem denken, wenn man nach seinen Bedürfnissen handelt. Und trotzdem sollte man die anderen nicht ignorieren, denn der Spielplatz ist nicht der eigene Garten; man muss sich dementsprechend sozial anpassen.
Wie wichtig ist es, alle Spielplatzkonflikte gut zu lösen?
Einer meiner Leitsätze in der Beratung ist immer: „Man muss sich seine Kämpfe auch aussuchen.“ Wenn ich gerade sehr viele andere Themen habe mit meinem Kind, mehrere Kinder habe oder ich mich aus anderen Gründen gerade an der Grenze meiner Ressourcen befinde, darf ich gerne für mich entscheiden, welche Spielplatzkonflikte ich aufmachen will oder ob ich mir das lieber schenke, so lange kein fremdes Kind hilflos oder überfordert betroffen ist. Denn solche Spielplatzkonflikte sind normalerweise nicht so existenziell, dass man da unbedingt immer eine perfekte Lösung finden muss. Da ist es total legitim, dass ich bei mir bleibe und gucke, was ich kann, was ich will und was ich brauche.
Egal, was andere Eltern von mir denken?
Wichtig ist die Einstellung zu entwickeln: Ich darf das so entscheiden und der andere darf das so finden und das macht aber gar nichts mit mir.
Inke Hummel
Ja, egal, was andere denken. Viele Eltern fühlen sich in solchen Situationen von anderen bewertet und somit nicht frei. Doch dadurch blockieren sie sich und ihre Verbindung zum Kind. Seine eigenen Bedürfnisse und die des Kindes im Fokus zu halten, ist in einer solchen Gefühlslage sehr schwierig.
Aus meiner Erfahrung aus meinen Beratungsgesprächen kann ich sagen, dass diese Sache für viele Eltern oft eine Herausforderung darstellt, an der sie zum Teil mehrere Jahre wachsen müssen. Andere wiederum kommen ganz schnell damit klar. Das ist sehr individuell und das ist auch gut so. Wichtig ist nur – über kurz oder lang – die Einstellung zu entwickeln: „Ich darf das so entscheiden und der andere darf das so finden und das macht aber gar nichts mit mir.“
Ein typischer Spielplatzkonflikt, den wohl alle Eltern kennen, ist ja das Nicht-Teilen-Wollen des Sandspielzeuges. Was würdest du in so einem Fall raten?
Viele Kinder brauchen Zeit, um das Teilen zu lernen. Dies geschieht aber vor allem durch Vorbilder und nicht dadurch, dass man die Kinder dazu anhält.
Inke Hummel
Teilen ist grundsätzlich auch in meinen Beratungen häufiger ein Thema und man kennt es ja auch von zu Hause – sowohl unter Geschwistern als auch bei Besucherkindern. Aus diesem Grund habe ich mich mit diesem Thema auch intensiver auseinandergesetzt.
Und es ist tatsächlich so, dass viele Kinder Zeit brauchen, um das Teilen zu lernen. Dies geschieht aber vor allem durch Vorbilder und nicht dadurch, dass man die Kinder dazu anhält. Möchte mein Kleinkind auf dem Spielplatz sein Sandspielzeug nicht teilen, würde ich es nicht dazu anhalten. Aber ich würde es immer wieder fragen, ob es bereit ist zu teilen, wenn ein anderes Kind kommt und nachfragt.
Sollte mein Kind trotzdem nicht teilen wollen, würde ich versuchen zu vermitteln, aber ich würde es nicht übergehen.
Inke Hummel
Eine weitere Möglichkeit könnte sein, dass man etwas anschafft, dass ausschließlich zum Teilen gedacht ist. Dies könnte zum Beispiel eine zweite Schaufel sein oder ähnliches. Und das würde ich dem Kind auch ganz klar kommunizieren: „Das ist unsere Leihschaufel. Und Teilen ist prima, denn wir selbst kommen ja vielleicht auch mal in die Situation, dass wir spontan auf einem Spielplatz Rast machen und nichts dabeihaben.“
Sollte mein Kind diesen Gegenstand trotzdem nicht teilen wollen, würde ich versuchen zu vermitteln, aber ich würde es nicht übergehen. Denn mein Kind hat ein Recht darauf, genauso in seiner Meinung akzeptiert zu werden, wie ich. Dem anderen Kind gegenüber würde ich dann diese Meinung auch vertreten: „Das tut mir leid. Aber mein Kind möchte heute seine Sachen nicht abgeben.“
Inwieweit ist die Fähigkeit zu teilen auch abhängig vom Alter des Kindes?
Das Alter und der Entwicklungsstand des Kindes spielen schon eine entscheidende Rolle. Kinder bis 4-5 Jahren sind noch sehr egozentrisch und können gar nicht so mitfühlen, was es für jemand anderen bedeutet, wenn er sich etwas ausleihen darf. Das ist ganz normal und nichts Negatives. Grundsätzlich würde ich darauf achten, dass ich dem Kind selber das Teilen vorlebe. So beobachtet und erlebt das Kind, dass man Sachen, die man teilt, auch wieder zurückbekommt.
Durch die Beobachtung und Erfahrung, dass Eltern Dinge teilen und es auch nicht schlimm ist, wenn der entliehene Gegenstand mal kaputt geht, lernen die Kinder das Teilen. Aber dieser Prozess braucht seine Zeit und wiederkehrende Gelegenheiten das Teilen zu erleben. Die kognitive Reifung und die Erfahrung spielen hierbei zusammen. Im Vorschulalter sollten die meisten Kinder das Teilen erlernt haben.
Was wenn es ein bisschen wilder wird und mein Kind andere Kinder mit der Sandschaufel haut. Was mache ich dann?
Sinnlose Bestrafungen sind immer destruktiv. Konstruktiver ist es, genau hinzuschauen, wie es dazu gekommen ist und was das Thema des Streits war.
Inke Hummel
Wenn sich gegenseitig verletzt wird, muss man natürlich irgendwann eingreifen. Aber auch da gibt es unterschiedliche Wege damit umzugehen: Es gibt bestrafende Eltern, die dann sofort gehen oder die ihr Kind zwingen sich zu entschuldigen. Ich empfehle erstmal auf das verletzte Kind zu schauen und den Gegenstand, um den es ging, an sich zu nehmen, denn damit sind die Kinder gerade offensichtlich überfordert. Sinnlose Bestrafungen sind immer destruktiv. Konstruktiver ist es, genau hinzuschauen, wie es dazu gekommen ist und was das Thema des Streits war. Und natürlich zu überlegen, wie man dem Kind erklären kann, dass Gewalt kein guter Weg ist. Es dafür zu sensibilisieren, dass es einem anderen Kind weh getan hat.
Könnte die körperliche Auseinandersetzung um das Sandspielzeug auch ein Zeichen der Überforderung sein?
Ja, man sollte schon bedenken, dass das Kind eventuell mit der Situation überfordert war und nun frustriert oder wütend ist. Oder es verfügt vielleicht noch nicht über die ausreichenden kommunikativen Fähigkeiten, um den Konflikt anders zu lösen. Die Reaktionen der Kinder sind ganz unterschiedlich. Manche sind selbst erschrocken und sind bereit dazu, direkt alles zu besprechen. Andere machen „dicht“, halten sich die Ohren zu oder laufen weg. Das ist nichts Bösartiges, sondern ein guter Schutzmechanismus. Man sollte dann für sich überlegen, ob man das Thema im Nachgang noch mit dem Kind bespricht oder es für den Moment dabei belässt. Dies ist sehr individuell und sollte von Fall zu Fall unterschieden werden.
Also müssen wir Eltern nicht gleich beunruhigt sein, wenn unser Kind in einem Spielplatzkonflikt eher aggressiv reagiert?
Keine Sorge. Aggression ist ein ganz normales Verhalten und nichts, dessen man sich schämen müsste. Und das Aggressionsverhalten variiert in den verschiedenen Altersstufen auch immer wieder. So beobachtet man beispielsweise in der Autonomiephase vieler Kinder eine aggressive Zeit, welche mit ca. 3 ½ Jahren ihren Höhepunkt erreicht.
Bei wilden Kindern muss man in den ersten Jahren nah dran sein. Sollte einem dieses ständige Konfliktpotenzial zu viel sein, empfiehlt es sich, zu volle Spielplätze für eine Zeit zu meiden
Inke Hummel
Zusätzlich kommt es aber auch sehr auf die Wesensart des Kindes an. Manche Kinder sind eher schüchtern, andere eher wild. Die wilden Kinder sind meist impulsiver. Sie erhalten einen Reiz und reagieren unmittelbar – ohne Überprüfung und genauen Bewertung der Situation. Sie lernen dieses Verhalten kognitiv zu kontrollieren, je älter sie werden. Bis dahin brauchen sie die enge Begleitung der Eltern, die in solchen Situationen einschreiten. Bei wilden Kindern muss man in den ersten Jahren nah dran sein, das ist so. Sollte einem dieses ständige Konfliktpotenzial zu viel sein, empfiehlt es sich, zu volle Spielplätze für eine Zeit zu meiden und stattdessen eventuell erstmal den Wald als Spielort zu nutzen.
Und noch ein Klassiker: Mein Kind wirft mit Sand. Wie reagieren?
Da muss man ebenfalls genau hinschauen, denn auch hier steckt im Kleinkindalter keine Boshaftigkeit dahinter. In der Regel ist das eine spontane Idee. Die Kinder machen das, um zu lernen. Was macht der Sand? Was macht das, was ich tue, mit dem anderen Kind? Wie ist die Reaktion? Sie spielen und probieren aus; manchmal ist es auch Verzweiflung oder Wut und das Unvermögen dies adäquat zum Ausdruck zu bringen. Schimpfen bringt in einer solchen Situation daher wenig, eher sollte man dem Kind mit klaren Worten helfen, den Konflikt aufzulösen. Das Wichtigste ist hierbei, wie ich dabei in Beziehung zu dem Kind stehe. Schimpfe ich von oben herab, werde ich autoritär und gehe in die Distanz. Bleibe ich auf Augenhöhe und löse mit klaren Worten die Situation auf, bleibe ich in liebevoller Beziehung zum Kind.
Muss ich jedes Mal in den Konflikt eingreifen?
Vieles kann man laufen lassen, aber wenn man merkt, dass das Kind in die Überforderung gerät, darf man ruhigen Gewissens auch mal einschreiten.
Inke Hummel
Nein. Wenn Kinder Sand auf die Rutsche oder sich auf die Beine werfen, muss man nicht gleich eingreifen, sondern kann die Situation erstmal beobachten. Aber wenn es ins Gesicht oder die Augen geht, rate ich dazu, dazwischen zu gehen, weil es etwas Gefährdendes ist.
Und es ist ja auch nicht immer das eigene Kind. Oft gibt es ja die Situation, dass das eigene Kind ganz friedlich spielt und jemand anderes der „Quertreiber“ ist. In solchen Situationen habe ich mein Kind geschützt und das andere Kind angesprochen. Manchmal war das in Ordnung und das Kind oder die Eltern konnten es annehmen oder letztere haben es noch nicht mal mitbekommen. Oder es war tatsächlich so, dass die anderen Eltern mein Vorgehen nicht gut fanden und sich gewünscht hätten, dass die Kinder es unter sich regeln. Meinungen gibt es immer viele; hier gilt es wieder bei sich und dem Kind zu bleiben. Vieles kann man laufen lassen, aber wenn man merkt, dass das Kind in die Überforderung gerät, darf man ruhigen Gewissens auch mal einschreiten.
Und wie nah man dran ist, hängt nicht nur vom Kind, sondern auch von der Situation vor Ort ab. Sind da Leute, die man gut kennt, Kinder, mit denen mein Kind vertraut ist, dann kann ich mich eher zurückziehen. Wenn da aber lauter Fremde sind und mein Kind sehr begleitungsbedürftig ist, sollte ich ihm die auch geben. Das ist wieder sehr individuell und lässt sich schwer pauschalisieren.
Weitere Tipps zu Konfliktsituationen im zweiten Teil des Artikels
„Mein Kind lässt andere Kinder nicht schaukeln“, „Mein Kind drängelt an der Rutsche vor“ und „Mein Kind will noch nicht nach Hause“ – diese klassischen Spielplatz-Situationen beleuchten wir, wieder zusammen mit Inke Hummel, im nächsten Artikel. Zudem stellen wir euch das neueste Buch von Inke Hummel vor: „Nicht zu streng, nicht zu eng“*, humboldt Verlag, ISBN: 978-3842616622. Es erscheint Ende Februar 2022. Und wir freuen uns, dann drei Exemplare dieses ganz besonderen Eltern-Ratgebers an euch verlosen zu dürfen.
Vielen Dank, Inke Hummel, für dieses spannende Interview und die hilfreichen Tipps. Welche Erfahrungen habt ihr mit Spielplatzkonflikten gemacht? Berichtet gerne in den Kommentaren.
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