Video-Tipp: Deutsche Kinder genießen mehr Freiheiten und bewegen sich eigenständiger als in den USA – das gilt auch auf dem Spielplatz. Zu diesem Schluss kommt die Euromaxx-Reporterin Hallie Rawlinson in ihrem aktuellen Video. Ein interessanter Blick über den Tellerrand.

Kürzlich schickte mir Rafael aus unserer Spielplatztreff-Community den Link zu einem kurzen YouTube-Video und meinte, vielleicht könnte das für den Spielplatztreff Blog interessant sein? Ich hab’s mir angesehen und finde: Rafael hat recht. Das Video ist wirklich sehenswert und daher eine Empfehlung für euch! Schaut mal rein:


DW Euromaxx: How does German parenting differ from the U.S.? (5:42 min)

Screenshot aus Hallie Rawlinson’s Video „How does German parenting differ from the U.S.? @DW Euromaxx / YouTube

Darum geht’s im Video:

Für die Sendung DW Euromaxx untersucht die Reporterin Hallie Rawlinson die Unterschiede zwischen deutschen und amerikanischen Spielplätzen. Und sie schaut sich die Erziehungsansätze der Eltern in beiden Ländern an. Hallie hat sowohl in den USA als auch in Deutschland gelebt und kann deshalb ihre Beobachtungen durch persönliche Erfahrungen bereichern. Das Video ist in Englisch mit englischen Untertiteln, deshalb hier für euch das Wichtigste zusammengefasst:

1. Spielplatzgestaltung: Abenteuer vs. Sicherheit

Amerikanische Spielplätze neigen dazu, möglichst sicher zu sein, mit buntem Plastik, abgerundeten Kanten und niedrigen Geräten, um die Verletzungsgefahr zu minimieren. Im Gegensatz dazu sind die Spielplätze in Deutschland oft abenteuerlich gestaltet, mit herausfordernden Geräten aus Materialien wie Holz oder Metall. Hallie beschreibt im Video, wie überrascht sie zunächst über die vermeintlich riskanten Spielplätze in Deutschland war. Aber inzwischen, sagt sie, hat sie verstanden, was die Idee hinter diesen Designs ist. Deutsche Spielplätze sind zwar so sicher wie nötig, nicht aber so sicher wie möglich. Kinder lernen durch das Erleben von kalkulierbaren Risiken auf dem Spielplatz mit schwierigen Situationen besser umzugehen. 

2. Selbstständig unterwegs vs. rund um die Uhr beaufsichtigt

Nicht nur die Spielplätze unterscheiden sich. Auch die Art und Weise, wie deutsche und amerikanische Eltern auf ihre Kinder blicken ist anders. In Deutschland werden Kinder häufig zur Selbstständigkeit ermutigt – auch beim Spielen auf dem Spielplatz. So erzählt Hallie beispielsweise von ihrem ersten prägenden Erlebnis als Au-pair in Deutschland. Damals besuchte sie mit ihrer Gastfamilie einen Spielplatz im Park. Der 7-jährige Sohn der Familie erkundete völlig selbstständig ein abenteuerlich hohes Klettergerät. Und seine Eltern luden Hallie dazu ein, währenddessen mit ihr eine Runde im Park spazieren zu gehen. Das war definitiv anders, als Hallie es aus den USA kannte. Für amerikanische Eltern ist die Sicherheit ein großes Anliegen. Amerikanische Kinder werden normalerweise rund um die Uhr beaufsichtigt. Das Tracken der Kinder ist dort relativ selbstverständlich.

3. Elternrolle: entspannt vs. überwachend

Hallie Rawlinson erzählt, dass sie immer wieder auf deutschen Spielplätzen beobachtete, wie Kinder kletterten und spielten, ohne dass die Eltern ständig eingriffen. Diese entspannte Haltung der Eltern beeindruckte sie sehr und zeigte ihr: Deutsche Eltern geben ihren Kindern mehr Freiraum und vertrauen darauf, dass sie Herausforderungen selbstständig meistern. Kinder lernen durch die Herausforderung auf dem Spielplatz, Risiken richtig einzuschätzen, was ihre Selbstständigkeit fördert. Im Gegensatz dazu überwachen amerikanische Eltern ihre Kinder stärker und schützen sie aufgrund von Sicherheitsbedenken und einer Kultur der Überwachung, erklärt die Reporterin im Video. 


Das ist der Spielplatz aus dem Video:

Auf Spielplatztreff findet ihr auch den Spielplatz im Ludwig-Lesser-Park in Berlin, auf dem Hallie herumkraxelt. Er bietet garantiert Spaß für jedes Alter.


4. Kulturelle Werte und Spielplatz-Gestaltung

Hallie stellt im Video fest, dass sich kulturelle Werte in der Gestaltung von Spielplätzen widerspiegeln. In den USA sind Spielplätze oft stärker reguliert, weil Eltern großen Wert auf Sicherheit und Überwachung legen. In Deutschland hingegen sind Spielplätze abenteuerlicher und herausfordernder gestaltet, da Eltern die Selbstständigkeit, Kreativität und Problemlösungsfähigkeiten ihrer Kinder fördern möchten.

Tori, eine amerikanische Mutter, die in Deutschland lebt und im Video spricht, teilt diese Ansicht. Sie ist ein großer Fan der deutschen Spielplätze und meint, dass in den USA eine standardisierte Vorstellung davon existiert, wie ein Spielplatz aussehen und welche Merkmale er haben muss. In Deutschland hingegen wird mehr darauf geachtet, dass Kinder kreativ sind, erkunden und verschiedene Erfahrungen machen können. Daher werden ihnen vielfältige und abwechslungsreiche Spielplätze zur Verfügung gestellt.

Persönliches Fazit

Blick von außen ist interessant

Es ist wirklich interessant, mal zu erfahren, wie deutsche Spielplätze von außen wahrgenommen werden. Danke dafür Euromaxx und Hallie Rawlinson! 🙂 Wobei ich zwei Anmerkungen ergänzen möchte: Erstens gibt es sicherlich auch in Amerika große und attraktive Spielplätze. Und zweitens sind längst nicht alle Spielplätze in Deutschland so abenteuerlich und kreativ wie die im Video gezeigten Spielplätze. Hallie Rawlinson war auf Berliner Spielplätzen unterwegs, die haben tatsächlich einiges zu bieten. 

Sorge vor Helikopter-Eltern

Beim Schauen des Videos kam mir allerdings ein anderer Gedanke in den Sinn: Noch profitieren unsere Kinder von den bestehenden Freiheiten, doch die Tendenz zur Überbehütung nimmt auch in Deutschland zu. Der Begriff „Helikopter-Eltern“ beschreibt diese Entwicklung. Aus Gesprächen mit Spielplatzverantwortlichen in Städten und Kommunen weiß ich, Eltern in Deutschland haben häufig Sicherheitsbedenken wegen vermeintlich zu hoher Spielgeräte. Und sie sind schneller bereit, Klagen einzureichen, wenn sich ihr Kind auf einem Spielplatz verletzt. Die Eigenverantwortung nimmt ab, während der Wunsch nach absoluter Sicherheit größer wird – ein illusorisches Ziel.

Balance zwischen Sicherheit und Abenteuer

Um amerikanische Verhältnisse zu vermeiden, müssen wir daher dringend die Balance zwischen Sicherheit und Abenteuer bewahren. Mein Wunsch wäre es, dass wir Eltern uns für vielfältige und herausfordernde Spielplätze einsetzen, die es Kindern ermöglichen, kalkulierte Risiken einzugehen und ihre Grenzen zu testen. Nur so bleiben deutsche Spielplätze Orte, an denen Kinder lernen, entdecken, Herausforderungen meistern und wachsen können.

Inklusion: Was wir von Amerika lernen können

Eine Sache können wir von amerikanischen Spielplätzen trotzdem lernen: die Barrierefreiheit. Auch wenn dieses Thema im Video nicht angesprochen wird, passt es an dieser Stelle gut. In den USA ist Inklusion seit vielen Jahren gesetzlich vorgeschrieben, sodass der Grad der Barrierefreiheit dort deutlich höher ist als bei uns in Deutschland. Hier müssen wir dringend nachbessern.

Titel-Foto: Euromaxx-Reporterin Hallie Rawlinson hoch oben im Kletternetz auf dem Spielplatz Ludwig-Lesser-Park in Berlin @Sreenshot aus dem DW Euromaxx Video: „How does German parenting differ from the U.S.?“