Im Juli 2021 fällt auf einem Augsburger Spielplatz plötzlich ein großer Baum um. Ein kleines Mädchen stirbt, dessen Mutter wird schwer verletzt. Wie konnte das geschehen? Und kann so etwas jederzeit wieder passieren? Baumexpertin Daniela Antoni sieht dringenden Optimierungsbedarf, denn „viele haben keine Ahnung vom Baumschutz“.
Frau Antoni, als Fachfrau haben Sie den Fall in Augsburg sicherlich verfolgt. Können Sie mir das erklären: Warum kippt so ein großer Baum (Stamm ∅ = 80 cm) einfach um?
Aus der Ferne lässt sich das schwer beurteilen und ein offizielles Statement gibt es dazu noch nicht. Der Gutachter wurde zwar zeitnah beauftragt, aber da hier ein Kind gestorben ist, ist auch die Staatsanwaltschaft mit dem Fall beschäftigt. Bisher ist jedenfalls nichts nach außen gedrungen. Deshalb warte ich die Ergebnisse des Gutachtens ab und beteilige mich nicht an Spekulationen.
Wie gefährdet sind wir auf dem Spielplatz unter Bäumen?
Städte, Kommunen und Gemeinden sind verpflichtet, alle öffentlichen Bäume zu kontrollieren – also auch Spielplatzbäume. In Großstädten finden diese Baumkontrollen in der Regel zuverlässig statt. Es gibt dort genügend Baumkontrolleurinnen und -kontrolleure, die sich ausschließlich mit Stadtbäumen beschäftigen und dementsprechend über das nötige Fachwissen verfügen. Außerdem sind in so genannten Baumkatastern alle Bäume verzeichnet.
Grundsätzlich wird also schon viel für die Sicherheit getan?
Grundsätzlich ja. Dennoch sehe ich in einigen Bereichen dringenden Optimierungsbedarf! Vor allem wenn im Wurzelbereich von öffentlich stehenden Bäumen gearbeitet wird, beispielsweise im Tiefbau. Auf derlei Baustellen (z. B. bei Verlegung von Kabeln oder Wasserleitungen, Neuinstallationen von Spielgeräten, etc.) werden Bäume häufig zu wenig geschützt und dadurch beschädigt.
Sind Baustellen die größte Gefahr für gesunde Stadtbäume?
Absolut. Überall in deutschen Städten und Kommunen werden täglich Straßen und Gehwegbereiche aufgerissen und Gas-, Wasser-, Internetleitungen verlegt. Sie glauben gar nicht, wie oft dabei Stadtbäume massiv in Mitleidenschaft gezogen werden, was sich somit unbeobachtet auf die Standsicherheit auswirken kann.
Auf diesem Foto einer Baustelle sieht man, wie Baustellenfahrzeuge und schwere Baustellenmaterialien direkt im Bereich unter der Krone abgestellt wurden. Der hohe Druck verursacht Bodenverdichtungen und Wurzelverletzungen.
Außerdem finden Bauarbeiten immer in die Tiefe statt, dort wo eben auch die empfindlichen Baumwurzeln liegen. Dabei muss man sehr behutsam vorgehen und die Bäume fachgerecht schützen. Zum Beispiel sollten bestimmte Mindestabstände eingehalten werden, damit nicht zu nah an die Wurzeln herangegraben wird. Wenn es schlecht läuft, werden nämlich statisch relevante Wurzeln beschädigt. Und es kann passieren, dass ein betroffener Baum danach nicht mehr standsicher ist.
Auf diesem Foto einer Baustelle ist deutlich die Abgrabungskante zu sehen, die beim Aushaben eines Schachtes entstanden ist. Diese befindet sich viel zu nah am Baum. Statisch relevante Wurzeln im Kronenbereich wurden unwiederbringlich beschädigt und die Standsicherheit des Baumes gefährdet.
Das verwundert mich! Gibt es denn hier keine Baumschutz-Vorschriften zu beachten?
Meine Erfahrungen der letzten 14 Jahre zeigen, dass diese Regeln so gut wie nie eingehalten werden!
Daniela Antoni
Doch. Es gibt die DIN 18920 und die RAS-LP4, die die Mindestabstände zu Bäumen auf Baustellen und andere wichtige Schutzmaßnahmen regeln. Doch meine Erfahrungen der letzten 14 Jahre zeigen, dass diese Regeln so gut wie nie eingehalten werden! Mir hat mal ein Bauarbeiter gesagt, alleine Wasserleitungen, müssen alle 30 Jahre erneuert werden. Das heißt, selbst wenn ein Baum einen guten Stand hatte, bekommt er innerhalb von 30 Jahren trotzdem was auf den Deckel, wenn wir nicht aufpassen. Ein großes Problem, was wir haben. Und wir müssen das endlich angehen.
Baumschutz auf Baustellen
Das Gartenamt der Landeshauptstadt Düsseldorf hat die Regeln und Hilfen für den Baumschutz auf Baustellen verständlich und übersichtlich zusammengestellt.
Außerdem wurde kürzlich eine umfangreiche Checkliste für den Schutz von Bäumen auf Baustellen im Magazin für den Garten- und Landschaftsbau – DEGA GALABAU – veröffentlicht.
Wieso können die vorhandenen Schutzmaßnahmen einfach ignoriert werden?
Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen gelten die Vorgaben nicht verbindlich. Eine Stadt kann also festlegen, dass bei Straßenarbeiten Baumschutzmaßnahmen nach DIN und RAS verbindlich getroffen werden. Sie muss es aber nicht.
Das zweite Problem: Gibt eine Stadt Schutzmaßnahmen verbindlich vor, ist noch lange nicht gewährleistet, dass der Baumschutz vor Ort tatsächlich wie vorgegeben umgesetzt wird. Dafür fehlt den Bauarbeitern sehr häufig die nötige Kompetenz, den Planern im Büro die nötige Weitsicht und auch das Personal zur Überwachung in den Kommunen. Ich habe mal auf einer Baustelle, die ich überwachen sollte, eine Blitzumfrage unter den sechs Bauarbeitern vor Ort gestartet und gefragt, ob ihnen die DIN 18920 und die RAS-LP4 bekannt seien und ob sie wüssten, dass sie gar nicht so nah an den Stamm heran graben dürften. Die wussten alle nicht Bescheid! Wenn der vorgesehene Bauplan auch keine Rücksicht auf die Mindestabstände zum Stamm nimmt, kommt es so zu Problematiken.
Also haben viele Tiefbaufirmen gar keine Ahnung vom Baumschutz?
Genauso ist es leider. Hier muss dringend bereits in der Ausbildung Tiefbau / Straßenbau der Fokus auf relevante Baumwurzeln gelegt werden. Nur dann lernen die Bauarbeiter, wie wichtig Baumschutzmaßnahmen sind, was es zu beachten gilt und dass es manchmal nötig ist, Bedenken anzumelden. DAS wäre immens wichtig.
Aber auch Städte und Kommunen müssen ihre Kompetenzen erweitert. Hier muss unbedingt sensibilisiert werden, damit zukünftig in alle Ausschreibungen die Einhaltung der DIN und der RAS verbindlich festgeschrieben wird.
Damit das klappt, braucht es überall fachlich geschultes Personal, nicht nur in den Großstädten. Gerade in kleinen Städten und Gemeinden, ist meine Erfahrung, hapert es leider sehr häufig am Fachwissen. Auch hier muss also Baumschutz stärker in der Weiterbildung verankert und das vorhandene Personal in den Kommunen geschult werden. Außerdem sollte optimaler Weise das Personal aufstockt oder externe Baumfach-Experten hinzugezogen werden, um die Baustellen zu überwachen.
Gibt es überhaupt genügend Fachleute, um die vielen Baumkontrollen durchzuführen und Baustellen zu überwachen?
Wir brauchen dringend mehr Qualifizierung in die Breite! Es müssten viel mehr Schulungen angeboten werden, die für alle Leute geeignet sind.
Daniela Antoni
Nein, im Moment nicht. Wir haben seit Jahren ein Defizit in der Branche, da auch wir eine lückenhafte Ausbildungslage haben. In Deutschland gibt es vielleicht 10 Sachverständigen-Büros, die fachlich einwandfrei arbeiten und einen einzigen Studiengang dazu. So viel Fachpersonal ist daher gar nicht vorhanden. Zusätzlich macht sich der Fachkräftemangel auch in unserer Branche bemerkbar. Es wird immer schwieriger guten Nachwuchs zu bekommen.
Deshalb brauchen wir dringend mehr Qualifizierung in die Breite! Es müssten viel mehr Schulungen angeboten werden, die für alle Leute geeignet sind. Ob das der interessierte Bürger ist, der Bauarbeiter oder der zuständige Gemeindemitarbeiter, der nicht so viel Geld oder Personal hat, und trotzdem mehr über das Thema Baumschutz erfahren will. Eigentlich sollte klar sein: Am Thema Baumschutz kommt niemand vorbei und es ist unerlässlich sich mehr Wissen darüber anzueignen, um Gefahren für Baum und Mensch abzuwenden!
Bisher ist sich die Öffentlichkeit der Gefahren nicht bewusst. Vielleicht auch, weil sie so wenig erfährt?
Es ist tatsächlich sehr selten, dass die Öffentlichkeit etwas mitkriegt. Denn wenn in einer Kommune ein Baum umfällt und vielleicht ein Auto beschädigt, dann rufen die wenigsten Kommunen in einem Sachverständigen-Büro für Straßenbäume an und bitten um Aufklärung. Bei einem Sachschaden regelt das in der Regel die Versicherung. Die Ursache für das Umfallen des Baumes wird häufig gar nicht erst ermittelt, obwohl uns Sachverständigen hier gute Wertetabellen und Diagnostikmöglichkeiten zur Verfügung stehen.
Der Baum auf diesem Foto ist zum Beispiel umgefallen, nachdem einseitig seine statisch relevanten Wurzeln entfernt wurden, um unmittelbar daneben eine Mauer zu errichten.
Warum interessiert sich in der Regel niemand für die Ursache umgestürzter Bäumen?
Wir Fachleute sehen trotzdem was schiefläuft, weil wir täglich mit den Stadtbäumen zu tun haben.
Daniela Antoni
Interessieren würde es den ein oder anderen schon. Uns Baumexperten auf jeden Fall! Aber herauszufinden, warum ein Baum umgefallen ist, ist im Nachgang sehr zeitaufwändig und teuer. Man müsste den Bodenbereich komplett freilegen. Und zwar nicht mit einem Bagger, sondern mit einem Saugbagger. Der saugt die Erde ab, um die Wurzeln nicht zu beschädigen. In ganz kritischen Bereichen wird die Erde sogar in so genannter Handschachtung beseitigt, also mit der Hand entfernt.
Dieser enorme Aufwand wird in der Regel nicht betrieben, nur um herauszufinden, warum der Baum auf das Auto gefallen ist. Wir Fachleute sehen trotzdem was schiefläuft, weil wir täglich mit den Stadtbäumen zu tun haben. Untereinander sind wir Kollegen gut vernetzt und tauschen uns aus. Das verschafft uns einen Überblick. Aber nicht die Gewissheit, dass da nichts übersehen wird.
Könnte auch auf dem Spielplatz in Augsburg etwas übersehen worden sein?
Ich bin unbedingt dafür, dass Stadtbäume verbindlich überwacht werden, wenn Tiefbauarbeiten im direkten Wurzelbereich vorgesehen sind.
Daniela Antoni
Wie eingangs erwähnt, spekulieren möchte ich hier nicht. Fakt ist jedoch, dass bei Baumkontrollen durchaus Baustellen übersehen werden. Sie müssen sich vorstellen, so ein Baum wird in der Regel halbjährlich, jährlich oder nur alle zwei Jahr kontrolliert. Jede Stadt oder Gemeinde hat da ihren eigenen Turnus – je nachdem wo der Baum steht, wie er beschaffen ist und wie viel Geld da ist.
Wird ein Baum einmal jährlich kontrolliert und zwei Wochen nach der Kontrolle ist dort die Baustelle, dann kriegt ein Kontrolleur das unter Umständen ein Jahr später bei der nächsten Kontrolle gar nicht mit. Er ist auf die Leute angewiesen, die auf der Baustelle im Einsatz sind, oder die im Amt, derartige Eingriffe überwachen. Die aber haben zu selten Ahnung davon. Daher bin ich unbedingt dafür, dass Stadtbäume verbindlich überwacht werden, wenn Tiefbauarbeiten im direkten Wurzelbereich vorgesehen sind.
Welche Vorteile hätte so ein Überwachungssystem für Stadtbäume?
Erstmalig gäbe es dann verlässliche Zahlen. Dass die bisher fehlen, verurteile ich generell in unserer Branche. Im Wald gibt es für Krankheiten und alle anderen Sachen guten Kennwerte, weil der wirtschaftliche Faktor eben existent ist und Studien laufen. Im Stadtbaum-Bereich gibt es so etwas überhaupt nicht oder nur sehr vereinzelt.
Wie viele Ausfälle wir jährlich im Zuge des Klimawandels, durch Baumaßnahmen oder durch Tiefbautätigkeiten zu verbuchen haben, oder welche Schädlinge und Krankheitserreger auf dem Vormarsch sind, wäre auch für Stadtbäume immens wichtig zu wissen, um hier Statistiken führen zu können. So hört man immer nur den Satz „aus Gründen der Verkehrssicherheit musste der Baum gefällt werden“. Dass dafür aber unter Umständen die Baustelle von vor fünf Jahren ursächlich ist, wird verschwiegen.
Auch Neupflanzungen könnten mit einem Überwachungssystem besser dokumentiert werden. Hier gehen viele Steuergelder verloren, weil Jungbäume z. B. durch fehlende Sonnenschutzmaßnahmen bzw. zu wenig Bewässerung den Sommer nicht überstehen.
Warum macht Ihre Branche nicht stärker auf die Missstände und Bedarfe aufmerksam?
Der Baumschutz bekommt definitiv noch nicht die Aufmerksamkeit, die er verdient! Und es gibt tatsächlich nur sehr wenige Sachverständigen-Büros, die das im Netz öffentlich machen. Das liegt u. a. auch daran, dass man nicht mehr über die Bäume reden darf, sobald man Kunde ist. Sobald jemand sehen würde, die Frau Antoni ist bei mir vor Ort und erzählt, dass wir hier die Wurzeln abgraben, würde ich Schwierigkeiten kriegen.
Dennoch versuchen Sie viel Aufklärungsarbeit zu leisten …
Wir müssen alle besser verstehen, wie entscheidend es ist, den Baumschutz auf Baustellen ernst zu nehmen – nicht nur für den Stadtbaum, sondern letztendlich auch für uns Menschen.
Daniela Antoni
Mir liegt der Baumschutz sehr am Herzen. Und ich kann das für mich selbst entscheiden, da ich freiberuflich arbeite. Trotzdem halte auch ich mich zurück und zeige meistens nur Aufnahmen von Schadensmerkmalen, nicht aber von gesamten Bäumen. Es sei denn ich betreue diesen nicht. In meiner Arbeit steckt sehr viel ehrenamtliches Engagement. Denn mir ist wichtig, dass wir alle besser verstehen, wie entscheidend es ist, den Baumschutz auf Baustellen ernst zu nehmen – nicht nur für den Stadtbaum, sondern letztendlich auch für uns Menschen.
Daniela Antoni ist Sachverständige für Bäume und FLL-zertifizierte Baumkontrolleurin aus Stockstadt am Main. Auf Instagram sowie auf ihrer Webseite Baumkontrolle im Netz versucht sie die Öffentlichkeit für ihr Herzensthema Bäume und Baumschutz zu sensibilisieren.
Foto: Daniela Antoni (privat)
Das könnte dich auch interessieren:
„SICHERHEIT IST UNSER OBERSTES GEBOT“ – Spielplatzprüfer Michael Behmenburg aus Moers erzählt worauf es bei der Spielplatzsicherheit ankommt.
EICHENPROZESSIONSSPINNER: KLEINE RAUPE, GROSSE WIRKUNG! – Daniela Antoni erklärt, was diese kleinen Tierchen für uns Menschen so gefährlich macht.
GUTE BALANCE ZWISCHEN RISIKO UND SICHERHEIT – Spielplätze sind oft zu langweilig. Warum und wie sich das ändern muss.
Titelfoto: Spielplatz unter großen Bäumen in Köln Mülheim / © Spielplatztreff.de
Den Ausführungen von Daniela Antoni kann ich nur uneingeschränkt beipflichten. In erster Linie scheitert in den meisten Fällen der sachgerechte Umgang mit Stadtbäumen und gerade diesen, die sich in exponierter Lage befinden, an der fachlichen Expertise der Baumverantwortlichen. Ich erlebe es gerade wieder aktuell, dass offensichtlich aus Kostengründen, die billigsten und die häufig damit verbundene Inkompetenz der Baumpfleger, großen Schaden an Bäumen verursachen. Es entstehen somit kostenintensive Dauerpflegefälle, die sehr schnell in ein enges Monitoring gehören. Aber dort entsteht das nächste Problem. Dafür ist wieder kein Geld da und die krankgeschnittenen Bäume werden eben nicht regelmäßig kontrolliert. Sicherlich gibt es in vielen Kommunen vorbildliche Beispiele, aber leider erlebe ich es allzu oft, dass Unwissenheit und Geldmangel mehr Schaden anrichten, als durch eine Investition für eine gezielte Fort- und Weiterbildung nötig wäre.